- Porträt
«Mich interessieren Menschen, die es schwerer haben als andere»
Der Lebenslauf von Jacqueline Imhof, Mitarbeiterin Buchbinderei, ist alles andere als durchschnittlich. Er führte sie aus dem Berner Oberland nach Israel in einen Kibbuz, später in ein indisches Frauenhaus und dann wieder zurück in die Schweiz, wo sie das Geburtshaus Mötschwil mitbegründete und auf der Alp als Sennerin arbeitete. Auch private Umbrüche haben ihren Weg geformt – und sie zu Stämpfli gebracht.
21.11.2024
Arbeiten im Kibbuz, Fiebern auf Goa
Selten kommt es im Leben wie geplant. Jacquelines Reise beginnt mit einem Flugticket nach Tel Aviv, das ihre Mutter ihr zum Lehrabschluss geschenkt hat. In Israel leistet sie Freiwilligendienst in einem Kibbuz. Mit einer Gruppe von Freundinnen und Freunden, die sie dort kennengelernt hat, reist sie mit dem Schiff weiter nach Indien und arbeitet dort in einem Frauenhaus. So kommt sie mit der Geburtshilfe und der indischen Säuglingsmassage in Berührung. Die Lebensbedingungen dieser Frauen seien unvorstellbar. Sie fliehen vor Gewalt und sexuellem Missbrauch oder werden von ihrer Familie verstossen. «Mich interessieren Menschen, die es schwerer haben als andere», sagt Jaqueline. Deshalb habe sie so gerne mit ihnen gearbeitet. «Als Westeuropäer hingegen ist dein grösstes Risiko, etwas aufzulesen.» So geschieht es auch Jacqueline. Durch einen Wurmbefall wird sie schwer krank und magert ab, bis sie nur noch 42 Kilo wiegt und ihr Vater sie in die Schweiz zurückholen muss. Dort braucht sie ganze zwei Jahre, um wieder halbwegs fit zu werden.
Indische Säuglingsmassage in Bern
Nach der prägenden Zeit im Frauenhaus in Goa ist für Jacqueline klar, dass sie weiterhin mit Säuglingen arbeiten will. So fängt sie als Spitalgehilfin im Gebärsaal des Salem-Spitals an. Schon ab der ersten Geburt ist sie fasziniert von dieser Arbeit. Zudem kann sie ihre Erfahrungen aus Indien einbringen: Sie massiert die Frauen während der Geburt und lindert so deren Wehenschmerzen, und die Neugeborenen erhalten von ihr eine indische Säuglingsmassage. Nach einigen Jahren auf der Geburtenstation gründet Jacqueline 1991 gemeinsam mit drei Hebammen aus dem Salem das Geburtshaus Mötschwil. Dafür bauen sie ein altes Bauernhaus um. Jacqueline ist für die Hauswirtschaft zuständig: Sie schaut zu den Hühnern, pflegt den grossen Garten und kocht für die frisch gebackenen Mütter. Daneben stellt sie Tinkturen, Salben, Konfitüren und Tee her, verwöhnt mit Massagen und unterstützt in der Pflege. Bis zur Schliessung 2010 werden im Geburtshaus, das 1996 nach Oberburg umzog, über 2000 Kinder geboren.
Kindertechnoparty auf der Alp
In den 1990er-Jahren verbringt Jacqueline mehrere Sommer auf der Alp. In Barwengen auf dem Hornberg arbeitet sie ehrenamtlich als Sennerin. Den Bezug zum bäuerlichen, ländlichen Leben hat sie aus ihrer Kindheit, von ihren Grosseltern. Aufgewachsen ist sie im beschaulichen Beatenberg. Während der Lehre zur Coiffeuse wurde sie schwanger, trotzdem schloss sie ihre Ausbildung erfolgreich ab. Als sie nach Israel reist, bleibt ihr Sohn beim Grosi.
Auf dem Hornberg lernt sie das Käsen, hilft bei der Heuernte und begleitet die Geburt von Kälbern. Zwei Monate lang beherbergen die Bäuerinnen und Bauern jeweils einige Kinder aus schwierigen Verhältnissen. Jacqueline feiert mit ihnen Technopartys und nimmt sie mit zum Kalbern. Man dürfe Kindern etwas zutrauen, wenn man sie liebevoll begleitet, sagt sie. Auch Sohn Raphael und Hängebauchschwein Sokrates verbringen die Sommer mit ihr auf der Alp.
Immer wieder im Druckgewerbe
Bereits in den 1980er-Jahren half Jacqueline einmal bei Stämpfli aus. Damals war die Druckerei noch an der Hallerstrasse 7 angesiedelt, und Jacqueline arbeitete bei der Produktion von Telefonbüchern mit. Jahrzehnte später kehrt sie über Umwege zu Stämpfli zurück. Als ihr Lebenspartner krank wird, gibt sie die Arbeit in der Geburtshilfe auf, um sich um seine Pflege zu kümmern. Auf der Suche nach einer flexibleren Stelle landet sie wieder in der Druckbranche. Während 15 Jahren arbeitet sie in der Buchbinderei der Druckerei Seiler. Als der Betrieb schliesst, muss Jacqueline sich neue Methoden der Stellensuche aneignen. So habe sie gelernt, ein Smartphone zu bedienen. Schliesslich kommt sie über ein Temporärbüro wieder zu Stämpfli, wo sie heute in der Buchbinderei tätig ist.
Lebensbalance
Natur
Jacqueline schöpft viel Kraft aus der Natur. So oft wie möglich verbringt sie Zeit im Wald oder am Wasser, meistens an der Aare oder an der Sense. Auch zu Hause mag es Jacqueline grün. Dort betreibt sie ein Insektenhotel und einen richtigen Ökobalkon, wie sie ihn nennt. Alles darauf ist selbst gezogen. Sie kauft keine Blumensamen, sondern sammelt diese auf ihren zahlreichen Spaziergängen.
Umweltschutz
Man müsse sich schämen für den Umgang der Menschen mit den natürlichen Ressourcen. Viel Geld spenden könne sie nicht, dafür aber ihre Zeit. Deshalb sammelt Jacqueline gerne Abfall ein – als kleinen Beitrag für die Umwelt.