- Porträt
«Es ist ein Geben und ein Nehmen»
Landleben. Melanie Schweizer, Teamleiterin Bild und Fotografie und seit 20 Jahren bei Stämpfli, lebt in einem alten Bauernhaus auf dem Land bei Laupen. Ohne Auto. Ist sie eine Fundi, die auf alles Angenehme im Leben verzichtet? Nein!
02.03.2022
Diese Aussicht – «Wow!»
Sie liebt das Reisen, die Grossstadt Berlin, das Schlagzeug- und Gitarrespielen, das auch mal tief in der Nacht stattfinden kann. Sie ist leutselig und gern um Menschen. Ist das die Frau, von der man sofort denkt, sie wohne irgendwo weit draussen alleine in einem knarrenden Bauernhaus, neben dem gelegentlich ein Baum im Sturmwind einknickt? Melanie Schweizer (38) muss lachen, wenn sie an diese Frage denkt. Sie steht vor dem früheren Bauernhaus, das einst ihre Grosseltern bewohnten und ihr Sommerferienrevier als Kind war. Die Wintersonne scheint ihr ins Gesicht, in der Ferne erkennt man die Silhouette des Schlosses Laupen, hinter der die schneeglitzernde Gantrischkette und die Berner Alpen aufsteigen. Wenn Freunde, aus Berlin zum Beispiel, bei ihr übernachten und am Morgen zum Fenster hinausschauen, tönt der Kommentar bei fast allen gleich: «Wow!»
Die Berliner Phase
Melanie legte einen – inneren und äusseren – Weg zurück, bis sie zu ihrem heutigen Wohnsitz kam. Als sie 12-jährig war, zog ihre Familie von Münchenbuchsee in die Gemeinde Ferenbalm, in einen Neubau neben dem Bauernhaus der Grosseltern. Melanie kannte von ihren Streifzügen in den Ferien längst jeden Schleichweg im Wald ums Haus, aber als sie langsam erwachsen wurde, brannte ihre Lust am Landleben eher auf Sparflamme. Heiss loderte dafür die Leidenschaft für die Musik, fürs Fotografieren – und fürs Reisen. Sie war damals sehr oft in Berlin, manchmal an drei Wochenenden im Monat, mit der Kamera häufig an Konzerten, und fand so etwa Zugang zum inneren Kreis der deutschen Rockband «Silbermond». In Bern, wo sie nach der Lehre zur Polygrafin weiter bei Stämpfli arbeitete, lebte sie in einer Wohngemeinschaft im Stadtquartier Spitalacker. «Mittendrin» bewegte sie sich, wie Melanie sagt. Aber schon damals «ging ich am Wochenende oft zurück nach Hause». Anders als es von aussen vielleicht scheine, habe sie immer einen Draht zur Einfachheit, zur Ruhe, zur Natur behalten.
Die «einmalige Chance»
Und ja: «Ich bin nicht ein Mensch, der grossen Visionen nachjagt», sagt Melanie Schweizer über sich. Eher sei es so, dass sie bei konkreten Entscheidungen herauszuspüren versuche, wohin es sie ziehe. Genau so machte sie es, als ihre Grossmutter ins Altersheim ziehen wollte und die Frage plötzlich konkret wurde: Was macht die Familie mit dem in die Jahre gekommenen Bauernhaus? Nach einer Phase des Ringens mit sich entschied sich Melanie: «Ich versuche es. Ich ziehe alleine hier ein. Es ist eine einmalige Chance. Wenn wir dieses Haus, das mir so viel bedeutet, verkaufen, ist es weg. Für immer.» Gut sechs Jahre ist das jetzt her. Sie könne nicht sagen, für wie lange das gelte, aber «im Moment stimmt es für mich in diesem Haus», das gefüllt ist mit dem, was sie ausmacht.
«Ich versuche es. Ich ziehe alleine hier ein. Es ist eine einmalige Chance.
Wenn wir dieses Haus, das mir so viel bedeutet, verkaufen, ist es weg. Für immer.»
Sound und Siebenschläfer
Das Schlagzeug ist da, im Wohnzimmer stehen neben einem liebevoll gebauten Turm aus alten Reisekoffern mehr als ein halbes Dutzend Gitarren, teilweise aus zertifiziertem FSC-Holz gefertigt. Im oberen Stock hat sie sogar ein kleines Heimstudio eingerichtet. Für treibenden Sound sorgt jedoch auch die Siebenschläferfamilie, die auf dem Dachstock nachts «gerne Disco macht», wie Melanie witzelt.
Und klar, bei ihr liegen neben der Garderobe auch eine Motorsäge und ein Schutzhelm. Dass man die Kleider schmutzig macht bei dem, was es ums Haus zu tun gibt, versteht sich von selbst. Wenn sie den Rasen mäht, ist Melanie ein paar Stunden beschäftigt, wenn die Herbstwinde durch den Wald fahren, weiss sie, dass am nächsten Tag ein Einsatz mit der Motorsäge ansteht, wobei ihr inzwischen pensionierter Vater, einst Gemeindepräsident von Ferenbalm, ihr sehr gerne zur Hand geht.
Zu ihrer Arbeit als Teamleiterin Bild und Fotografie bei Stämpfli an der Wölflistrasse am Rand der Stadt Bern pendelt Melanie mit dem öffentlichen Verkehr. Sie hat weder Auto noch Führerschein. Wird man zum Nachhaltigkeitsapostel, wenn man naturnah lebt wie sie?
Menschliche Wärme im Sturm
Melanie schüttelt den Kopf. Das Permis fürs Autofahren fehlt ihr nicht aus ideologischen Gründen, sondern weil sie bis jetzt weder Zeit noch Energie dafür fand. Ihr Alltag im Bauernhaus habe sie zwar nicht zur Nachhaltigkeitshardlinerin gemacht, sagt sie. Aber «wenn du am Morgen manchmal Rehe im Garten siehst, weckt das schon immer wieder die Sensibilität für den Wert der Natur».
Aber auch menschliche Wärme. Es war auf einer Reise nach Irland, Melanie wollte mit einer Freundin auf die Insel Great Blasket im Südwesten, mit Glück schafften sie die Überfahrt mit dem Schiff gerade noch, bevor ein heftiger Sturm losbrach. Ein paar Tage waren sie auf dem einsamen Eiland abgeschnitten von der Umwelt, untergebracht in einer einfachen Hütte, der Wind toste, es gab nur die ungezähmte Natur – und ein paar Leute, die dort lebten «und uns vorbehaltlos und herzlich aufnahmen». Dieses Beispiel spontaner irischer Gastfreundschaft mitten in der Wildnis hat sie tief beeindruckt und mitgeprägt, worauf sie in ihrem Leben Wert legt.
Gegen die Wegwerfgesellschaft
Zu Hause heizt Melanie mit einer Wärmepumpe, sie achtet beim Holzen darauf, genügend Verstecke für die Igel zuzulassen, sie hat das Haus sanft saniert und viele Möbel ihrer Grosseltern behalten, weil das auch ein Beitrag gegen die Wegwerfgesellschaft sei. «Aber ich habe nie das Gefühl, auf etwas verzichten zu müssen», sagt sie. Wer lebe wie sie, müsse sich halt etwas anders organisieren. Aber sie reise weiterhin und steige dafür auch in ein Flugzeug, wobei sie natürlich die CO2-Kompensation bezahle.
Melanies Lebensbalance
Gitarre
Melanies Coverversion von «Hate that you hate me» der jungen aufstrebenden Band aus Nashville «Daves Highway».
Bodrhán
Die Rahmentrommel Bodrhán zählt zu den am häufigsten verwendeten Instrumenten in der irischen Volksmusik. Melanie spielt «Kesh Jig», ein irisches Volksstück, auch bekannt aus dem Film Titanic.
Lieblingsshop
Der Musikladen Unisono ist Melanies kleines Gitarrenuniversum. Zäppu und seine Familie betreiben das Geschäft und die Musikschule seit über 25 Jahren im Herzen von Steffisburg. «Es ist herzlich, unkonventionell, und du bekommst hier alles was du brauchst – sei es auch nur ein gutes Gespräch oder einen Kaffee!»