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Heimat ist überall

Heimat ist kein Ort, sondern ein Gefühl. Um das zu erfahren, muss man nicht unbedingt viel reisen. Aber es hilft.

Als junger Mann habe ich mir das Stadtwappen auf den Oberarm tätowieren lassen, und ich habe es nie bereut. Ich bin stolz auf meine Herkunft, die Stadt Biel in der Schweiz. Ja, ich bin ein Lokalpatriot. Ich verteidige meinen Geburtsort mit Leidenschaft, wenn wieder einmal jemand meint, er müsse ihn auf die hohe Sozialhilfequote und den hohen Ausländeranteil reduzieren. Und es soll ja niemand auf die Idee kommen, etwas gegen den EHC Biel zu sagen!

Aber ist Biel auch meine Heimat?

Nein. Weil Heimat mehr ist als eine Stadt, ein Dorf, ein Quartier, ein Haus oder ein Bett. Die deutsche Philosophin Karen Joisten erklärt es in ihrem Werk «Philosophie der Heimat – Heimat der Philosophie» in einigermassen klugen und einigermassen komplizierten Sätzen. Heimat sei «der Weg» des Menschen, den Inbegriff des Seins, durch den sich der Mensch in seiner Existenz erfahre, schreibt sie. «Der Mensch ist auf die Heimat als seine konstitutionell bedingte Grenze bezogen, an die er, im Zusammenhang mit der Möglichkeit universaler Entgrenzung stehend, unhintergehbar gebunden ist.»

Man kann das auch einfacher ausdrücken: Heimat ist subjektives Empfinden. Heimat ist Gefühl. Das gilt für alle, und für Reisefans mutmasslich noch ein bisschen mehr. Walo Kamm, legendärer Gründer von Globetrotter und der am weitesten gereiste Mensch, den ich kenne, sagt: «Heimat ist für mich dort, wo Menschen wohnen, bei denen ich mich gut aufgehoben und wirklich verstanden fühle – und als Bonus auch noch geliebt werde.» Diese Definition an einen geografischen Punkt zu knüpfen, kommt ihm erst gar nicht in den Sinn.

Schweden

Kirgistan

Thailand

Wie aber fühlt sich Heimat für jemanden, den es immer wieder in die Ferne zieht, denn nun an?

Ich war siebenjährig, als ich das erste Mal spürte, was ich viele Jahre später erst beschreiben konnte. Wir hatten in Turin den klapprigen Fiat in den Autoreisezug verladen und unser Lager auf Pritschen in einem italienischen Schlafwagen bezogen. Unser Ziel war das Meer. Es ratterte. Es knarzte. Die Fahrt dauerte die ganze Nacht. Ich konnte nicht schlafen. Jedes Mal, wenn der Zug in einen Bahnhof einfuhr, schepperten Durchsagen aus den Uralt-Lautsprechern: Alessandria, Piacenza, Bologna, Bari, Brindisi, Lecce. Ich verstand die Namen der Städte, in denen wir anhielten, sonst verstand ich nichts. Wärme durchströmte mich; Neugier auf das, was es hier zu sehen und zu hören und zu schmecken und zu riechen gibt. Ich spürte, dass ich ankam, wenn ich aufbrach. Ich spürte, dass ich ein Zuhause gefunden hatte, unterwegs. Als Chefredaktor des Globetrotter-Magazins beschrieb ich diese Empfindungen mehr als drei Jahrzehnte später in einem Editorial einmal als Globetrottergefühle. Mindestens so treffend wäre: Heimatgefühle.

Heimatgefühle können einen Reisenden überall durchströmen, wo es ihm wohl ist. In einem Pub in irgendeinem irischen Kaff, auf einem Holzschiff auf dem Mekong, beim Schoggigipfeliessen am Küchentisch zu Hause, auf einem Waldspaziergang oder eben in einem italienischen Nachtzug.

Mir fällt es übrigens auch schwer, zwischen Fern- und Heimweh zu unterschieden – beiden Gefühlen liegt ja der Wunsch zugrunde, bei sich selbst anzukommen. Und wahrscheinlich ändert sich die Definition von Heimat in einem Menschenleben auch immer wieder. Seit ich Vater bin, würde ich behaupten, dass Heimat dort ist, wo meine Söhne mit mir und meiner Frau zusammen sind. Komplett bedeutungslos ist dabei, ob dies auf einem Zeltplatz in Frankreich ist, beim Ziegenfüttern im Jura, auf einer Autobahn Richtung Süden oder auf dem Bieler Zentralplatz.

Ich habe Reiseprofis aus der Globetrotter Group, zu der auch das Globetrotter-Magazin gehört, gefragt, wie sie denn Heimat definieren. Ihre Antworten ähneln sich – und bestätigen sich gegenseitig. Daniel Bill, Geschäftsführer von Team Reisen, zum Beispiel sagt: «Heimat ist ein Gefühl von Geborgenheit. Es kann an verschiedenen Orten erlebt werden.» Thomas Zwahlen, der mit Himalaya Tours abenteuerliche Reisen in den Himalaya organisiert, formuliert es so: «Heimat ist für mich dort, wo Berge und Freunde sind. In der Schweiz wie im Himalaya.» Der Chef von Globetrotter Tours wiederum erklärt, dass Heimat für ihn «Geborgenheit, Familie und Freunde» bedeute. «Dieses Gefühl habe ich bereits einige Male in meinem Leben an verschiedenen Orten erlebt – und hoffe, dies auch immer wieder neu zu entdecken», sagt Mischa Niederl. Andy Keller, mein Vorgänger als Chefredaktor und jetziger Verwaltungsratspräsident beim Globetrotter-Magazin, beschreibt Heimat als «Vertrautheit, also etwas, das man gut kennt».

Noch simpler und offener ist die Heimatdefinition meines obersten Chefs, André Lüthi. Der CEO der Globetrotter Group sagt schlicht: «Heimat ist dort, wo ich bin.»