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Gefangen im Hamsterrad
Die meisten von uns kennen das: Man dreht sich am Arbeitsplatz gefühlt im Kreis, läuft und läuft und kommt doch nirgendwo hin. Darüber haben wir uns mit Carole Lauper von der Movis AG unterhalten. Sie ist dort für Mitarbeitende von Stämpfli, die Unterstützung suchen, zuständig.
19.09.2019
Die meisten Jobs bestehen zu einem grossen Teil aus Routinearbeiten. Das kann ermüdend sein. Ohne einen gewissen Routineanteil wären wir den täglichen Anforderungen kaum gewachsen, da es uns überfordern würde, unablässig kreativ sein und neue Aufgaben übernehmen zu müssen. Und doch birgt die Routine die Gefahr der Ermüdung, der Unzufriedenheit in sich, vor allem wenn der Alltagstrott überhandnimmt und der Arbeitsberg wächst. Einen Ausweg daraus zu finden, ist nicht immer leicht.
Frau Lauper, wann wird der Alltagstrott zum belastenden Faktor?
Wie Alltag und Routine erlebt werden, ist grundsätzlich subjektiv. Es mag banal klingen, ist jedoch grundlegend, um zu verstehen, dass es nicht die Anzeichen dafür gibt, dass Alltägliches zum belastenden Alltagstrott wird. Nach meinen Erfahrungen ist es immer das subjektive Leiden an Alltäglichem, das eine Arbeits- und Lebenssituation zur Belastung anwachsen lässt.
Was sind die Warnzeichen dafür, dass man auf einem ungesunden Weg ist, Gefahr läuft, in einem Hamsterrad gefangen zu bleiben?
Folgende Symptome sind typisch:
- Lustlosigkeit
- Demotivation
- negative Wahrnehmung der Arbeitstätigkeit (Last, Zumutung)
- Müdigkeit/Erschöpfung
- sozialer Rückzug
- Zynismus
Es kann aber auch sein, dass eine Person überagitiert und rastlos wirkt. Dies eher dann, wenn «das Hamsterrad sehr schnell dreht», d.h. wenn Druck, Leistungserwartungen und oft auch hohe Fremdbestimmung – etwa in Call-Center-Arbeitsrealitäten – den Arbeitsalltag diktieren. Nicht selten münden solche Situationen bei negativem Verlauf, wenn spät oder gar nicht um Unterstützung ersucht wurde, in Stressfolgeerkrankungen.
Was muss man beachten, damit man gar nicht erst in diese Falle tappt?
Eins vorweg: Ein Rezept mit Erfolgsgarantie gibt es nicht. Sehr viele Arbeitstätigkeiten sind heute – trotz oder mit Routinen – komplex, schnelllebig, schlicht sehr anspruchsvoll geworden. Es gibt wenige Berufe, Funktionen, Jobs, die nicht einem permanenten Wandel unterworfen sind.
So weit, so gut, aber: War das nicht immer so? Sicher, neu ist jedoch das enorme Tempo des Wandels. Da fast alle Personen im Erwerbsprozess hiervon betroffen sind, kann es auch jederzeit jeder und jedem passieren, in solche Fallen zu geraten, im Hamsterrad zu rotieren und eine Entschleunigung oder einen Absprung vom Rad nicht mehr aus eigener Kraft zu schaffen. Ich halte es bereits für sehr hilfreich, wenn man das weiss und anerkennt.
Wenn man drinsteckt, findet man meist nicht mehr selbst daraus heraus. Was kann man unternehmen? Wer hilft einem, den Ausstieg zu schaffen?
Da Personen in solchen Situationen weitgehend gefangen sind, weil ihre Lage eine hohe Eigendynamik erreicht hat, sind sie in hohem Masse auf ihr soziales Umfeld angewiesen. Freunde, Partner/in, aber auch Arbeitskolleg/innen, Vorgesetzte und/oder HR-Fachpersonen sollten die Betreffenden darauf ansprechen, wenn diese sich in ihrem Verhalten oder in ihrer Persönlichkeit verändern.
Welche Art von Unterstützung im Einzelfall sinnvoll ist, ist sehr unterschiedlich. Eine Mitarbeitendenberatung, wie Stämpfli sie über die Movis AG anbietet, ist eine einfache erste Anlauf- und Beratungsstelle. Wichtig ist dabei die Gewissheit, dass die Vertraulichkeit der Beratung garantiert ist.
Wenn man sich aus dem Hamsterrad hat befreien können: Was soll man vorkehren, um nicht bei nächster Gelegenheit wieder in dieselbe Falle zu tappen?
Der wahrscheinlich positivste Aspekt des Hamsterrades: Die Erfahrung selbst kann schützen und zur Entwicklung einer persönlichen Präventionsstrategie führen. Vorausgesetzt, die Person mit «Hamsterraderfahrung» hat sich mit ihrer Situation, den Faktoren, die sie gefangen hielten, und allem, was half, das Hamsterrad zu stoppen oder davon abzuspringen, entsprechend auseinandergesetzt. In der Regel findet eine solche intensive Auseinandersetzung zusammen mit einer Fachperson (Beraterin/Sozialarbeiterin, Psychologe/Psychotherapeut oder Psychiaterin) statt.
Der wichtigste Schutzfaktor ist aber eine gesunde Balance von Arbeit und Freizeit, Berufs- und Privatleben. So kann es sinnvoll sein, Beziehungen bewusst zu pflegen, Freizeittätigkeiten zu (re)aktivieren, z.B. eine Entspannungstechnik zu erlernen oder zu praktizieren (Yoga, Tai-Chi, Atemübungen, Spaziergänge, Wanderungen, Tagesausflüge).
Was gilt es sonst noch zu bedenken?
Leider stellen viele Personen den hohen Anspruch an sich selbst, alle Situationen selbst zu meistern. Zu oft gilt Suchen und Annehmen von Hilfe noch als Zeichen von Schwäche oder gar persönlichem Versagen.
Genau das Gegenteil ist jedoch der Fall: Seine Grenzen zu (er)kennen, zu respektieren und sich bei Bedarf Unterstützung zu organisieren, braucht zwar oft Mut, ist aber Ausdruck einer hohen (Selbst-)Verantwortung und persönlicher Stärke.
Leider ist gerade in der Schweiz eine grosse Zurückhaltung bei der Inanspruchnahme von Unterstützung weit verbreitet, bis hin zur Tabuisierung von Belastungssituationen und zur Stigmatisierung von Stressfolgeerkrankungen (Burn-out, Depressionen).
Entsprechend wichtig ist, dass Unternehmen eine höhere Sensibilität entwickeln und so zu mehr Wissen, Verstehen und Prävention beitragen können. Damit wird ein wichtiger Schritt in Richtung Akzeptanz und Enttabuisierung belastender Arbeitsplatzsituationen, wie Über- oder Unterforderung bei der Arbeit, geleistet. movis.ch