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Gefängnisse, mit Passion …

Interview mit Daniel Fink, dem Autor von «Strafrecht, Freiheitsentzug, Gefängnis», erschienen 2015 im Stämpfli Verlag

20.03.2016

Herr Fink, Sie haben vor Kurzem das 340-seitige Buch «Strafrecht, Freiheitsentzug, Gefängnis» veröffentlicht. Es ist eine beeindruckende, umfassende Geschichte des Freiheitsentzugs und des Gefängnisses in der Schweiz. Wie kam Ihnen die Idee für dieses Buchprojekt? 

Um mein Interesse für das Gefängnis zu ­erklären, muss ich kurz auf meine berufliche Tätigkeit als Delegierter für Gefangenen­besuche im Internationalen Komitee vom Roten Kreuz verweisen. Später, im Bundesamt für Statistik (BFS), habe ich mich als Chef der Sektion Kriminalität und Strafrecht besonders um die Gefängnisstatistiken gekümmert, unter anderem im Zusammenhang mit einem der Ziele der Revision des Strafgesetzbuches, nämlich des Zurück­drängens der kurzen Freiheitsstrafe. Kurz darauf habe ich eine Gesamtschau zu Aussprache und Vollzug der Freiheitsstrafen erarbeitet, die als Ausstellung im BFS gezeigt und als 50-seitige Broschüre mit dem Titel «Überwachen statt einsperren» publiziert wurde. So war es denn nicht mehr weit bis zur Buchidee. Mit von der Partie war von allem Anfang an Peter Schulthess, ein versierter Publizist, der ebenfalls bereits einiges zum Gefängnis veröffentlicht hat und ein erfahrener Gefängnisfotograf ist. 

Welches ist Ihre Fragestellung? 

In der Botschaft zur Revision des Allgemeinen Teils des Strafgesetzbuches von 1998 informiert der Bundesrat darüber, dass es ihm darum geht, die kurze Freiheitsstrafe zurückzudrängen, weil sie psychologisch destruktiv, sozial stigmatisierend, nicht effizienter als andere Sanktionen wirke, teuer sei und, so würde ich heute anfügen, historisch überholt ist. Im Buch geht es mir darum, diesen letzten Punkt statistisch zu dokumentieren und in einen grösseren sozialen Zusammenhang zu stellen. So entstand ein Buch, das die Entwicklung von Freiheits­entzug dokumentiert, kantonale Gefängnissysteme beschreibt, und Themen wie Rückfall, Personal oder Finanzen, neben vielen anderen, historisch aufgearbeitet. Im Ganzen sind es 20 Kapitel. 

Welches sind Ihre Hauptargumente? 

Es gibt drei Hauptargumente im Buch: Zuerst stellen wir die Entwicklung der Anwendung von Freiheitsentzug dar, die, entgegen landläufiger Meinung, stark abgenommen hat, wenn man sie im Zusammenhang mit der Bevölkerungsentwicklung und dem ­Anstieg der Verurteilungen setzt. Zweitens beobachten wir die Modernisierung der Einrichtungen des Freiheitsentzugs, nämlich deren Diversifizierung, Konzentration und Vergrösserung. Drittens dokumentieren wir, dass die Gefangenenpopulation zwar in absoluten Zahlen gestiegen ist, im Verhältnis zur Bevölkerung, die sich zwischen 1900 und 2010 mehr als verdoppelt hat, dagegen von 160 auf 90 Insassen pro 100 000 Einwohner gesunken ist oder, wenn man nur die verurteilten Insassen in Betracht zieht, von 110 um 1900 auf 35 Insassen pro 100 000 Einwohner heute. Es handelt sich hier um drei langfristige Tendenzen, die sehr wenig bekannt sind, die aber von entscheidender Bedeutung sind, wenn man über Kriminalpolitik und Sanktionsreform sprechen will. 

Ihr Buch enthält viele grossformatige Fotografien, die Peter Schulthess, Fotograf in Basel, in den Gefängnissen aufgenommen hat. Welche Funktion haben diese Bilder im Buch?

Ein Gefängnis, das sind zuerst Menschen, denen man die Freiheit entzogen hat. Dieser Entzug der Freiheit wird mit Gebäulich­keiten, mit ummauerten, heute meist hochgesicherten Gebäudekomplexen sichergestellt. Gefängnisarchitektur hat immer schon fasziniert. Obwohl man glaubt, zu wissen, wie ein Gefängnis konzipiert ist, wenigstens von aussen, hat die grosse Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger ein solches noch nie von innen gesehen. Zudem geistern ja viele falsche Ideen zu Gefängnissen herum, wenn sie mit «Hotels» oder «Ferienlagern» verglichen werden. Wir wollten deshalb einen Überblick über die Entwicklung der Gefängnisarchitektur in der Schweiz bieten, und zwar mit Bildern von aussen wie auch jeweils mit einem Blick nach innen, seien es Zellen oder Gemeinschaftsräume. Um dies zu bewerkstelligen waren 100 Fotografien notwendig, neben historischen Bildern zeitgenössische, von Peter Schulthess geschossene Fotos heutiger Haftorte. 

Warum haben Sie das Buch als Hand- und Lehrbuch ausgestaltet? 

Es gibt zurzeit kein Werk, das für die Ausbildung von Kriminologen, Juristen, Poli­zisten, Strafvollzugspersonal oder Sozial­arbeitenden eine umfassende Geschichte des Freiheitsentzugs und der Gefängnisse in der Schweiz anbietet. Das letzte solche Werk ist 100 Jahre alt und seit Langem überholt. Wir gingen davon aus, dass unser Buch eine ­Lücke füllen würde. Wir haben zudem das Buch mit einer Website verbunden (www.gefo.ch). Auf dieser findet der interessierte Leser Antworten auf alle Fragen, die am Schluss jedes Kapitels angefügt sind. Unser Buch enthält in dieser Sache übrigens eine Neuigkeit, nämlich QR-Codes, die einen direkten Zugriff auf die Fragen über das ­Mobiltelefon ermöglichen. Wir haben diese QR-Codes auch für wichtige Dokumente eingesetzt, unter anderem auch für historische wie das Helvetische Peinliche Gesetzbuch.

Haben Sie neue Projekte? 

Ja, Anfang 2016 wird ein Sammelband mit historischen Studien zu den Kriminal- und Strafrechtsstatistiken der Schweiz erscheinen. Weiter bereiten wir eine neue Ausstellung zur Freiheitsstrafe und zu ihrer Anwendung vor, die der Gefängnisarchitektur und -fotografie einen grossen Platz einräumen wird. Sie wird voraussichtlich Ende 2017 in einem ehemaligen Gefängnis gezeigt werden.