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Emma Stämpfli-Studer – Berner Pionierin aus der Stämpfli-Familie
Emma Stämpfli-Studers Ideen und Innovationen beeinflussen die Schweiz und insbesondere Bern noch heute. Die spannende Geschichte einer Frau, die ihren Platz behauptete, dabei aber nie ihre Mitmenschen vergass.
15.06.2021
Emma Stämpfli-Studer kam 1848 in Bern in gut situierten Verhältnissen zur Welt. Ihr Vater, Bernhard Studer, führte in zweiter Generation die Studer’sche Apotheke an der Spitalgasse in der Nähe des Berner Hauptbahnhofs. Ihre Mutter, Julie Rosine Rudrauff, stammte ebenfalls aus einer Apothekerfamilie. Überhaupt scheinen die Naturwissenschaften in Emma Stämpfli-Studers Familie von grosser Bedeutung gewesen zu sein. So hatten einige Familienmitglieder Einfluss auf den Bau des Naturhistorischen Museums oder des Botanischen Gartens bei der Lorrainebrücke.
Doch es wurde auch politisiert, und das nicht nur von den Männern: Julie Luise Studer-Steinhäuslin, die Schwägerin von Emma Stämpfli-Studer, war Mitglied der beratenden Kommission des Völkerbunds und setzte sich für ein internationales Abkommen zu strengeren Gesetzen gegen Frauen- und Kinderhandel ein. Und Emma Stämpfli-Studer beeinflusste Bern und die ganze Schweiz durch ihren unermüdlichen Einsatz massgebend. Aufgerüttelt von ihren eigenen Eindrücken im damaligen Fabrikquartier Länggasse gründete sie dort zusammen mit ihrem Ehemann Karl Stämpfli 1880 eine Kinderkrippe, um die Betreuung der bis anhin unbeaufsichtigten Kinder der Arbeiterinnen und Arbeiter zu sichern. Auch das Wohl der Arbeiterinnen und Arbeiter selbst war ihr ein Anliegen, und so schuf sie 1895, im Andenken an den ein Jahr zuvor verstorbenen Karl Stämpfli, eine der ersten Kranken-, Invaliden- und Sterbekassen der Schweiz!
Die Geschichte wiederholt sich
In vielen Belangen war Emma Stämpfli-Studer eine Vorreiterin – so auch als Geschäftsführerin der Buchdruckerei Stämpfli. Für diese Zeit völlig unüblich war sie aber schon die dritte Frau, der diese Möglichkeit zukam. Bereits die Grossmutter ihres Ehemannes, Marie Albertine Stämpfli-Ernst, hatte nach dem frühzeitigen Tod von Gottlieb Stämpfli die Druckerei zwischen 1807 und 1828 geführt. Ihr Sohn, Carl Samuel Stämpfli, übernahm die Firma für die nächsten 18 Jahre, aber auch er verstarb relativ jung im Jahr 1846. In der Folge entschloss sich die Witwe, Maria Friederike Luise Stämpfli-Gerwer, zum Verkauf des Unternehmens; wahrscheinlich auch wegen der beiden kleinen Söhne, um die sie sich kümmern musste. Einer dieser Söhne war Karl Stämpfli, der die Firma 1871 wieder zurück in den Familienbesitz führte. Und unglaublicherweise wiederholte sich die Geschichte erneut: Als Karl Stämpfli 1894 verstarb, gelangte die Firma zum dritten Mal in Frauenhand.
Unermüdlicher Einsatz
Der neuen Geschäftsführerin Emma Stämpfli-Studer war klar, dass die Buchdruckerei Stämpfli auf geschulte, motivierte Arbeitskräfte angewiesen war. Sie wusste diese durch Förderung und Wertschätzung an den Betrieb zu binden, und laut Stimmen aus ihrem Nachruf besass sie eine natürliche Autorität. Zudem nahm sie Anteil am Leben der Arbeiterinnen und Arbeiter, was sich am klarsten und nachhaltigsten an den schon erwähnten arbeitsrechtlichen Innovationen und der eingeführten Kinderkrippe zeigte.
Im Gegensatz zu ihren Vorgängerinnen blieb Emma Stämpfli-Studer auch nach dem Eintritt ihrer Söhne ins Geschäft 1908 bis ins hohe Alter aktiv in der Buchdruckerei Stämpfli tätig. Neben dieser Arbeit war ihr die Förderung von Kinderkrippen wohl das wichtigste Anliegen. Vor allem in der Krippe in der Länggasse, die heute als Stiftung Kita Länggasse weiterbesteht, nahm Emma Stämpfli-Studer grossen Einfluss auf das Betriebsreglement, die Hausordnung sowie die gesundheitliche und hygienische Betreuung der Kinder. 1907 wurde in Bern unter der Leitung von Emma Stämpfli-Studer der Schweizerische Zentral-Krippenverein gegründet, der unter dem Namen kibesuisse noch heute existiert.
Emma Stämpfli-Studers Engagement im Verein galt neben den Kindern auch den Müttern. Sie war sich bewusst, dass Kinderkrippen nicht nur die Versorgung der Kinder sicherten, sondern auch die berufliche und damit finanzielle Lage der Frauen verbesserten und ihnen eine grössere Unabhängigkeit ermöglichten. Trotz Anfeindungen und Kritik am Einsatz für die Arbeiterklasse wuchs die Bekanntheit des Vereins, und er fand internationale Beachtung.
Am 30. Januar 1930 verstarb Emma Stämpfli-Studer. Es gäbe noch viel mehr über ihr Leben und ihre Erfolge in diesen 82 Jahren zu erzählen: über ihre Kindheit, über ihre schriftstellerischen Tätigkeiten oder über ihre Arbeit für Pro Juventute. Fest steht: Emma Stämpfli-Studer hat sich unermüdlich eingesetzt – für ihre Familie, ihre Firma, ihre Stadt und ihre Mitmenschen.
Quelle: Andréa Kaufmann: Emma Stämpfli-Studer (1848–1930). Tradition und Vision, in: Andréa Kaufmann, Peter Moser und Claudia Wirz: Drucken – Backen – Forschen. Pionierinnen der modernen Schweiz, Zürich 2016 (Schweizer Pioniere der Wirtschaft und Technik, Bd. 196), S. 8–41.