• Fokus

Die Zukunft der Arbeit beginnt in der Vergangenheit

«Persönlichkeiten werden nicht durch schöne Reden geformt, sondern durch Arbeit und eigene Leistung.»

Albert Einstein

Arbeit. Manches Mal überkommt einen das Gefühl, dass nichts das Leben so sehr prägt wie Arbeit. Schon im Small Talk beim Apéro wird auf die Frage «Und was machen Sie so?» in den meisten Fällen mit der Beschreibung der Arbeitsstelle geantwortet. Arbeit prägt unser Leben, die Gesellschaft, aber eben vor allem uns selbst und unsere Identität und deshalb lohnt ein Blick auf das Thema Arbeit und seine Bedeutung.

In der griechischen Antike galt Hand- und Lohnarbeit noch als verachtenswert – und das, obwohl prachtvolle Bauten, die wir noch heute ehrfürchtig betrachten, das Resultat harter Arbeit sein müssen. In der Bibel wird Arbeit sowohl als Last, aber eben auch als Dienst an Gott dargestellt, was sich auch im «Ora et labora» der Benediktiner-Mönche widerspiegelt. Durch das Christentum und die Darstellung im Neuen Testament, dass jede Form von Arbeit (auch die der Zöllner) ihren Wert hat, wird Arbeit aufgewertet. Insbesondere durch den Protestantismus werden während der Aufklärung Fleiss, Ökonomie und Arbeitsamkeit als Werte definiert und positiv konnotiert (Schermuly, 2019). 

Eine besondere Dynamik in Bezug auf das Verständnis von Arbeit ist ab dem 19. Jahrhundert erkennbar. Durch die Industrialisierung und die Etablierung des Fabrikwesens ab 1820 wird Arbeit zu einem Produktionsfaktor. Arbeit dient nicht mehr allein der Existenzsicherung, sondern auch der Vermehrung von Kapital. Der Taylorismus feiert die monetären Anreize und Führungsstile, die vor allem durch Kontrolle und Befehle geprägt sind, steile Hierarchien sind an der Tagesordnung, und die Annahme, dass es einen besten Weg gibt, um Ziele zu erreichen, den eben vor allem die Führungskräfte an der Spitze der Pyramiden vorgeben müssen, prägt das Miteinander.

Schon John Maynard Keynes (1883–1946) prophezeite, dass die Gesellschaft zukünftig von einer neuen Krankheit befallen werden könnte, der «technologischen Arbeitslosigkeit», womit er die Arbeitslosigkeit meinte, die entsteht, weil die Entdeckung von Mitteln zur Einsparung von Arbeit schneller voranschreitet als die Fähigkeiten, neue Verwendungen für Arbeit zu finden (Suzman, 2021). Nun sind wir an diesem Punkt noch nicht angekommen, jedoch zeigen Statistiken auf, dass die durchschnittliche Arbeitszeit kontinuierlich sinkt. So zeigt eine Studie aus dem Jahr 2017, dass 1950 ein Erwerbstätiger in der Schweiz im Schnitt knapp 2400 Stunden pro Jahr gearbeitet hat. 2015 waren es noch 1500 Stunden. Die Gründe dafür sind z.B. die Reduktion der Wochenarbeitszeit von 50 auf 42 Stunden, die Zunahme der Teilzeitarbeit und der Anstieg der durchschnittlichen Zahl der Ferienwochen von weniger als zwei Wochen auf über fünf Wochen pro Jahr (Siegentaler, 2017).

Woher kommen diese Veränderungen, und was treibt sie an?

Innovationszyklen werden immer kürzer. Die Dampfmaschine wurde 1698 erfunden, das elektrische Licht erst 1802, bis zum Telefon dauerte es noch mal 50 Jahre. Das Internet hat seinen Anfang in den 1980er-Jahren genommen und hat es keine 20 Jahre später schon auf Mobiltelefone geschafft. Die Digitalisierung lässt Räume zunehmend enger werden, was internationales Arbeiten ermöglicht. Auch wenn es wie ein abgedroschenes Argument scheint, ist auch der demografische Wandel ein Treiber der Veränderung. Es kann nicht mehr auf Frauen verzichtet werden, Nachwuchskräfte sind rar und zudem flexibler, was den Wohn- und Arbeitsort anbelangt, und aufgrund der hohen Bildungsstandards auch befähigt, hohe Anforderungen an Arbeitgeber/innen zu stellen.

«Arbeit um der Arbeit willen ist gegen die menschliche Natur.»

John Locke

Mit eben diesen Anforderungen einher gehen Elemente der Sinnstiftung. Menschen suchen schon von jeher nach Sinn in ihrem Leben und bemühen dafür Philosophie, Religion und manches Mal eben auch Arbeit. Es stellt sich deshalb die Frage, wie Menschen Sinn in Arbeit finden können und wie sich dies zukünftig entwickeln wird. Seit einiger Zeit ist alles «neu»: New Work, New Pay, New Leadership sind die «Buzzwords», die durch die Gesellschaft getrieben werden und sich eben alle darum drehen, dass neue Arten Arbeit zu gestalten Menschen befähigen und bestärken sollen, sinnvolle Arbeit zu verrichten, die ihnen und der Gesellschaft nutzen.

New Work kommt eigentlich schon aus den 1970er-Jahren und wurde vom Soziologen und Anthropologen Frithjof Bergmann (1930–2021) geprägt. Der Kernsatz, der immer wieder zitiert wird, ist, dass Menschen die Arbeit finden sollen, die sie «wirklich, wirklich wollen». Schon vor der Covid-19-Pandemie wurde «New Work» stark strapaziert und zu einem Sammelbegriff für alles, was Arbeit anders gestaltet, als wir es bisher vielleicht gekannt haben. Auf einer übergeordneten Ebene geht es vor allem darum, Menschen mit Selbstverantwortung, Autonomie, Kompetenzentwicklung, Einfluss und Sinn auszustatten und sie dadurch zu befähigen, ihre Arbeit eigenverantwortlich zu gestalten. Frithjof Bergmann schreibt dazu: «Nicht wir sollten der Arbeit dienen, sondern die Arbeit sollte uns dienen. Die Arbeit, die wir leisten, sollte nicht alle unsere Kräfte aufzehren und uns erschöpfen. Sie sollte uns stattdessen mehr Kraft und Energie verleihen, sie sollte uns bei unserer Entwicklung unterstützen, lebendigere, vollständigere, stärkere Menschen zu werden.» (Bergmann, 2017, S. 11). Insbesondere aktuell gehen damit Diskussionen um New Work einher, die darin münden, dass Demokratisierung, Dezentralisierung und Digitalisierung eine wichtige Rolle in der aktuellen Gestaltung von Arbeitswelten spielen (werden). Deshalb verwundert es auch nicht, dass Wissenschaftler von der SHR Berlin im New-Work-Barometer 2020 Arbeitszeitautonomie und Arbeitsplatzautonomie als New-Work-Massnahmen auf den Plätzen 2 und 3 der Nennungen identifizieren konnten.

«Die Zukunft kann man am besten voraussagen, wenn man sie selbst gestaltet.»

Alan Kay

Die Covid-19-Pandemie hat ihren Beitrag geleistet, die Arbeitswelt zu gestalten und schneller im «New» von New Work im heutigen Verständnis anzukommen. Folgende Erfahrungen konnten beobachtet werden, und es ist davon auszugehen, dass Lernprozesse bei Individuen in Gang gesetzt worden sind, die sich zukünftig weiterentwickeln werden:

1. Führung verändert sich. Grosse Teile der Bevölkerung wurden ins Homeoffice geschickt. Vor allem Mitarbeitende, die Schreibtischtätigkeiten verrichten, konnten besonders lange im Homeoffice verbleiben. Das hat Führung elementar verändert. Die Zeiten von Kontrolle und Befehl wurden schneller beendet, als es so mancher Führungskraft lieb war. Vielmehr musste sich Vertrauen durchsetzen. Wissenschaftler der Berner Fachhochschule konnten genau das in ihrem «Barometer Gute Arbeit» zeigen: «Das Vertrauen in die Arbeitgebenden nahm während der Krise zu», schreibt Tobias Fritschi, Leiter der Studie. Das Gefühl, dass einem Vertrauen entgegengebracht wird, kann dazu führen, dass Menschen sich wertgeschätzt fühlen, was sich positiv auf die Motivation und dadurch auch auf die Arbeitsleistung auswirken kann. Es müssen aber auch andere Formen von Kommunikation und Interaktion etabliert werden. Wenn man dem Team nicht mehr auf dem Flur begegnet, dann braucht es andere Formen der Interaktion wie virtuelle Kaffeepausen, aktiv geplante Gespräche, in denen es um den reinen Austausch geht, oder auch virtuelle Teamevents.

2. Arbeitsorte verändern sich. Viele Menschen haben nun erlebt, wie hilfreich Homeoffice sein kann, während andere auch den Wert von Büros, in denen Sie z.B. ohne Kinder im Hintergrund oder mit einer professionellen Arbeitsausstattung arbeiten können, erkannt haben. Dennoch ist zu beobachten, dass insbesondere die Mischung aus Homeoffice und Präsenz sich grosser Beliebtheit erfreut. Die Studie «Barometer Gute Arbeit» zeigt, dass die positiven Auswirkungen von Homeoffice häufiger angegeben werden als die negativen, und dass der sogenannte «Präsentismus», also wenn Arbeitnehmende trotz Krankheit arbeiten, abgenommen hat, was ebenfalls positiv bewertet wird (Fritschi & Lehmann, 2021). Insbesondere der wegfallende Arbeitsweg wird von 83% der Arbeitnehmenden geschätzt. So manche Führungskraft lässt derzeit verlauten, dass sie nicht daran glaube, dass die Mitarbeitenden wieder komplett ins Büro zurückkommen, und Grossunternehmen machen es schon vor, indem sie sich auch öffentlich z.B. zu drei Tagen Office und zwei Tagen Homeoffice bekennen. Die aktuelle Studie von Fritschi, 2021, zeigt jedoch auch, dass Arbeitnehmende zukünftig nicht 100% im Homeoffice verbleiben wollen. Büros werden Orte der Begegnung, der Interaktion und der Kreation. Kreative Prozesse sind besser an gemeinsamen analogen Orten möglich, und Menschen brauchen soziale Beziehungen. Dennoch muss berücksichtigt werden, dass es Mitarbeitende gibt, die zu Hause nicht konzentriert arbeiten können, sodass es auch in Büros Ruhezonen braucht. Unternehmen werden sich ihre mischspezifische Form von analog und digital suchen, Räume gestalten, in denen Mitarbeitende sich entfalten können, und die individuellen Bedürfnisse von Individuen und Teams rücken vermehrt in den Vordergrund.

3. Arbeitszeit verändert sich. Es ist davon auszugehen, dass der Trend zu weniger Arbeitsstunden sich weiter fortsetzen wird, und auch die Zeiten, in denen gearbeitet wird, verschieben sich z.B. aufgrund des Wunsches nach Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Menschen wünschen sich Autonomie, aber auch Rahmenbedingungen, zu denen sie agieren können, um sich nicht in Arbeit zu verlieren. Arbeitszeitmodelle der Zukunft, Personalplanung, aber auch Führung werden diese Aspekte berücksichtigen müssen.

Veränderung ist anstrengend. Sie erfordert ein hohes Mass an Willen zur Veränderung, an Lernbereitschaft und Zeit. Zeit, um neue Prozesse und Routinen zu etablieren. Um Leitplanken zu identifizieren, die Sicherheit geben (Feldman & Pentland, 2003). Denn auch wenn Dezentralisierung und Autonomie zentrale Ziele von New-Work-Initiativen sind, ist der Mensch manches Mal geprägt, in dem Glauben, dass Arbeit das zentrale identitätsbildende Element ist, dass er oder sie sich auch in Arbeit selbst verlieren kann. Das ist jedoch weder der ursprüngliche Gedanke der sogenannten New-Work-Bewegung gewesen, die geprägt ist durch den Satz «Arbeit zu verrichten, die man wirklich, wirklich will», noch durch die heute schier unendlich erscheinenden Möglichkeiten, Arbeit neu zu gestalten. Menschenzentriertes Arbeiten, das dem Individuum, der Organisation und dadurch auch der Gesellschaft nutzt, ist und wird das Ziel sein, auf das wir gemeinsam hinarbeiten, wenn wir die Zukunft der Arbeit gestalten.

Informationen zur Autorin:

Prof. Dr. Sabrina Schell ist Forschungsprofessorin am Institut für New Work an der Berner Fachhochschule.

Literatur zum Weiterlesen:

Bergmann, Frithjof (2017): Neue Arbeit – Neue Kultur. Arbor.

Fritschi, Tobias, und Lehmann, Oliver (2021): Barometer Gute Arbeit: Qualität der Arbeitsbedingungen aus der Sicht der Arbeitnehmenden – Ergebnisse für das Jahr 2021

Schermuly, Carsten C., und Geissler, Christian (2020). Ergebnisse des NEW WORK Barometers 2020.

Suzman, James (2021): Sie nannten es Arbeit. Eine andere Geschichte der Menschheit. Verlag C.H.Beck.