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Auch ein Schiff hat Räder
Wie alle Zahnrädchen sauber ineinanderpassen, wenn der über 100-jährige Schaufelraddampfer «Lötschberg» auf dem Brienzersee unterwegs ist, durfte ich live erleben. Näher unterhalten habe ich mich dabei mit dem Dampfschiffkapitän Sascha Leitner und dem Maschinisten Peter Wyss.
19.09.2019
«Ah, Sie sind die Journalistin», begrüsst mich der Kapitän an der Schifflände Interlaken Ost freundlich und bietet mir gleich das Du an. Dann stellt er mir die Crew vor, und ich kann mich auf dem ganzen Schiff frei umsehen. Ich befinde mich auf der «Lötschberg», einem Schaufelraddampfer, gebaut 1914 von Escher Wyss und im Stil der Belle Époque erhalten.
Die «Lötschberg»
Der wunderschöne Salondampfer hat eine Länge von 56,5 Metern und bietet 800 Passagieren Platz. Bis 1968 wurde er mit Kohle angetrieben, seither mit Erdöl. 1978 wurde das Heckruder auf die Bedienung mittels handlicher Joysticks umgerüstet, bei der Generalrevision von 2000/2001 dann auch das Bugruder. Durch den Wegfall des Kohleschippens und den Umbau der Kräfte raubenden schweren Heck- und Bugruder konnte die Besatzung von acht auf sechs Personen verkleinert werden.
Ich steige zu Sascha Leitner in den Führerstand, wo die beiden alten Steuerräder noch von vergangenen Zeiten erzählen. Ebenfalls Dekoration sind die Rettungsboote, heute sind für den Notfall genügend Schwimmwesten für alle Personen an Bord vorgeschrieben.
Vom Führerstand aus ist der See nochmals um einiges faszinierender. Der sehe übrigens bei jedem Wetter, jeder Stimmung anders aus, bemerkt Sascha. Der Brienzersee ist der tiefste völlig in der Schweiz liegende See, bis 261 Meter geht es an der tiefsten Stelle hinunter.
Kapitän Sascha Leitner
Sascha stammt aus dem Südtirol, fährt seit 2007 auf dem Brienzersee und ist seit drei Jahren Dampfschiffkapitän, eine Aufgabe, die ihm sichtlich gefällt.
Sein Werdegang verlief ziemlich schnell, er hat bereits die höchste mögliche Stufe erreicht. Daneben ist er auch gelegentlich auf Motorschiffen eingeteilt.
Den Winter über ist er als Pistenrettungsfachmann auf der Melchseefrutt im Einsatz, auch das eine Aufgabe, die ihm Spass macht.
Alle ziehen am selben Strang
Auf dem Dampfschiff ist die Teamarbeit grundlegend wichtig, denn der Kapitän kann steuern, hat aber keinen direkten Zugriff auf die Maschine bzw. die Geschwindigkeit, andererseits drosselt der Maschinist auf Kommando die Maschinen, sieht aber nicht, wohin das Schiff fährt. Und letztlich ist für eine passagierfreundliche Fahrweise auch die Arbeit an den Seilen mitentscheidend. Das funktioniert nur, wenn sich alle blind aufeinander verlassen können. Die Zusammensetzung der Teams und die Zuteilung auf die verschiedenen Schiffe ändert übrigens immer wieder.
Bei den Manövern orientiert sich jeder Schiffsführer an gewissen Landmarken, die Erfahrung spielt eine grosse Rolle: bei diesem Baum abdrehen, bei diesem Haus verlangsamen usw. Für die Kommandos vom Führerstand in den Maschinenraum benutzt der Kapitän ein Kommandorohr, in das hinein er deutliche Kommandos ruft, die vom Maschinisten quittiert werden. Später im Maschinenraum werde ich staunen, wie laut und deutlich die Kommandos unten ankommen.
In der Maschine
Die beiden Schaufelräder und die wunderschön rot und stählern glänzende Antriebsmaschine mit unzähligen messingenen Ölbehältern, wie man sie vom Hauptdeck aus teilweise sehen kann, stammen tatsächlich noch von 1914. In den 80er-Jahren wurde auch alles noch von Hand und mechanisch betrieben. Seit der Generalrevision wird das meiste elektronisch gesteuert. Zunehmend wird auch immer mehr digital überwacht.
Peter hat die alten Zeiten noch erlebt: «Die hatten auch ihre Vorteile.» Das Controlling der vielen Anzeigen, die Landemanöver – und sehr viel putzen und polieren, das sind die Hauptaufgaben im Maschinenraum. Hier müssen auf der Fahrt stets zwei Personen anwesend sein, der Maschinist und der Heizer.
Vom 3-Zug-Kessel wird 270 Grad heisser Dampf auf die Maschine geleitet. Eine 2-Zylinder-Heissdampf-Verbundmaschine sei das, erklärt mir Peter. Bei diesen Temperaturen und dem vielen Metall, das sich möglichst reibungsarm bewegen muss, ist einleuchtend, dass richtiges Ölen etwas vom Wichtigsten ist. Etwas erstaunt erfahre ich zudem, dass das ganze Frischwasser für den Betrieb an Bord aus dem Seewasser aufbereitet wird.
Zum Manövrieren setzt der Maschinist die Befehle, die ihn durch das Kommandorohr erreichen, um. Beim Drosseln der Maschine ist Fingerspitzengefühl gefragt. Vor allem, wenn das Schaufelrad beim Verlangsamen in Rückwärtsbetrieb wechseln soll, ist der richtige Moment entscheidend. Dank seiner Erfahrung kennt Peter die verschiedenen Schiffsführer und die unterschiedlichen Fahrstile.
Maschinist Peter Wyss
Peter kommt aus Lauterbrunnen und ist seit 1982 bei der BLS. Er hat den üblichen Weg hinter sich. Vom Leichtmatrosen ging es über den Matrosen und den Kassier in die technische Richtung: Er wurde Motorist auf Motorschiffen bzw. Maschinist auf Dampfschiffen.
An der Maschine der «Lötschberg» kennt und liebt er jedes Schräubchen.
Er ist den Winter über im Schnee, und zwar seit 30 Jahren als Renntrainer für den BOSV.
Stilvolle Renovation
Den letzten Teil der Fahrt verbringe ich als «normaler» Passagier, schaue in die Maschine hinunter, bestaune die Schaufelräder, werfe einen Blick ins Spielzimmer und oben in den Salon und das Fumoir der ersten Klasse und setze mich für einen Kaffee ins hübsche Restaurant der zweiten Klasse.
Das Schiff ist bis in die hinterste Ecke stimmig und stilecht instand gehalten, Belle Époque mit viel Weiss und Resedagrün. Bestimmt war ich nicht zum letzten Mal mit der «Lötschberg» auf dem Brienzersee.