• Vorwort

Small Talk

… gang, Veitli, gang, gang du voran, i will dahinte vor di stahn.1

Ausgangspunkt jeder belanglosen Plauderei ist die Frage «Wie geht’s?». Die letzten Monate haben der Frage allerdings eine neue Bedeutung gegeben, und nun ist sie ernst geworden: Gesundheit kann nicht mehr einfach vorausgesetzt werden, das Virus bedroht sie und konfrontiert uns damit, dass Gesundheit kein Thema für belanglose Plauderei mehr ist.

Das Wetter im Sommer war dermassen schlecht, dass der Anstand es verbot, darüber selbst belanglos zu plaudern. Die Gesundheitslage hat zudem das Reisen an die Sonne erschwert, so dass die Frage «Wie geht’s?» eigentlich hätte lauten müssen: «Sind Sie gesund genug, um in die Ferien reisen zu dürfen?».

Mit dieser Frage aber sticht man in ein Wespennest. Den Schweizer soll man wie die Wespen auch nicht reizen, und die Frage nach Reisevoraussetzungen rüttelt am Selbstverständnis des helvetischen Freiheitsgedankens. Der Schlachtruf des Uri-Stiers erschallt aus Feld und Wald, das hübsche Kinderbuch «Schellenursli» ist Vorlage für Bürgerprotest geworden.

Bildung ist in unserem Land der einzige Rohstoff. Die Diskussion um die Bewältigung der Pandemie ist daher eine rein intellektuelle und wissenschaftliche. Diskutiert wird etwas, was seit langer Zeit – bereits in altorientalischen Hochkulturen um 1650 v. Chr. – von vielen Gelehrten als Problem erkannt und bearbeitet wird. Es ist ein mathematisches Problem und nennt sich «die Quadratur des Kreises». Gesucht ist die Lösung zum Problem «Man bewältige eine durch ein Virus verursachte Pandemie auf helvetische Weise». Helvetische Weise heisst: Ich will mich nicht impfen lassen, Bill Gates ist der Götti von Alain Berset, ich will mich gratis testen lassen, ich will ein Ja zum Covidgesetz, ich will keine Steuergelder für Impf­unwillige verschwenden, die Erde ist eine Scheibe, ich will ein drittes Referendum gegen das Covidgesetz, ich will keine Überlastung der Spitäler, ich will kein Zertifikat vorzeigen, ich will ans Meer in die Ferien, ich will mich nicht anstecken, ich will eine vegane Cervelat, ich will alles, und zwar sofort und gratis.

Als die wackeren Eidgenossen im 15. Jh. die Burgunder vernichtend schlugen, schrieb der Chronist Diepold Schilling in seine Aufzeichnungen: «Waren der Fürst von Österreich und die seinen in Karls des Kühnen Schirm, so waren die loblichen Eidgenossen in des Allmächtigen Gottes Schirm.» Dieses Prinzip haben die Eidgenossen mittlerweile perfektioniert. Es heisst – lateinisch, weil es so intelligent ist – wie folgt: Hominum confusione et Dei providentia Helvetia regitur. Die Schweiz wird regiert von der Verwirrung der Menschen und von Gottes Vorsehung.

Die Lösung des Problems ist möglicherweise auch sehr alt: Alexander der Grosse hat sie im 4. Jh. v. Chr. auf den Gordischen Knoten angewandt.

1 Die sieben Schwaben, ein Märchen der Brüder Grimm