• Perspektivenwechsel

KI-Assistent für Frau Brönnimann

Im Gesundheitswesen geht es um Menschen. Menschen, die auf das Gesundheitssystem vertrauen, um wieder eine bessere Lebensqualität zu erlangen. Ein sensibler Vertrauensraum, den die Gesundheitsfachpersonen respektieren und schützen müssen. Ist künstliche Intelligenz (KI) vor diesem Hintergrund sinnvoll und zielführend? Um das herauszufinden, arbeitet das Living-Lab des Instituts für Medizininformatik der Berner Fachhochschule mit der Modellpatientin Elisabeth Brönnimann. Sie steht Patin für uns alle. Erfahren Sie, wie die Zusammenarbeit zwischen Patientin und KI in zehn Jahren aussehen könnte und was heute schon möglich ist – und was nicht.

Jürgen Holm zeigt, wie KI im Gesundheitswesen Einzug halten könnte

2033 – neues Wohnen

Elisabeth Brönnimann besitzt eine altersgerechte Gesundheitswohnung – in ihrem Fall «Standard KI-Plus» – am Stadtrand von Baden. «Hi, Elisabeth, möchtest du kurz über deine Gesundheit informiert werden?», fragt der KI-Assistent.

2023 – KI macht Fortschritte

KI hat einen grossen Entwicklungsschritt gemacht. Die neuen Möglichkeiten zeigen, dass KI in Kombination mit weiteren personalisierten Informationen im Gesundheitswesen auf vielfältige Art einsetzbar ist. KI basiert auf Algorithmen, die es ihr erlauben, zu lernen, zu entscheiden und Muster zu erkennen. Mithilfe von neuronalen Netzwerken kann sie Daten verarbeiten und sich anhand von Feedback anpassen. So können etwa Maschinen oder Apps immer mehr Aufgaben ausführen, die zuvor Menschen erledigt haben.

2033 – ein Gesundheitscheck

«Ja, gerne, lass uns einen Gesundheitscheck machen. Mhm, wie war denn meine Woche? Ich fühle mich eigentlich ganz gut», sagt Elisabeth. «Super, dann legen wir doch los», antwortet der KI-Assistent und schaltet den in der Tischplatte eingelassenen Bildschirm ein. Er fährt fort: «Es sieht in der Tat ganz gut aus. Cholesterin, Blutdruck, Insulin: Alles im grünen Bereich. Bei deinen Medikamenten scheint so weit auch alles in Ordnung. Allerdings hast du etwas mehr Schmerzmedikamente genommen. Wie fühlt sich denn deine Hüfte an?»

«Die neuen Möglichkeiten zeigen, dass KI im Gesundheitswesen auf vielfältige Art einsetzbar ist.»

Prof. Dr. Jürgen Holm

2023 – Missverständnisse

Die Digitalisierung im Gesundheitswesen bringt ein kurioses Missverständnis mit sich: Trotz wachsender digitaler Kompetenz der Allgemeinheit zeigt das Swiss eHealth Barometer regelmässig, dass viele Gesundheitsfachleute den Patientinnen und Patienten digitale Fähigkeiten im Gesundheitsmanagement absprechen. Die Patientinnen und Patienten sehen das überwiegend anders: Sie erwarten zu Recht, dass sie Termine online buchen und ein elektronisches Patientendossier (EPD) führen können oder dass zumindest ihre Gesundheitsdaten elektronisch an die nächste behandelnde Person übermittelt werden. Es besteht also eine Diskrepanz zwischen der Wahrnehmung der Fachleute und den Patientenerwartungen in Bezug auf die Digitalisierung.

2033 – KI koordiniert

«Die Hüfte hat bereits in der Nacht geschmerzt», antwortet Elisabeth. «Dein Gang hat sich auch etwas verändert», bemerkt der KI-Assistent. «Ich empfehle, dies doch einmal genauer abklären zu lassen. Was meinst du?» – «Mhm, ja, es wäre gut, das anschauen zu lassen. Was schlägst du vor?», fragt Elisabeth. «Dienstag um 10 Uhr bei Dr. Wenger wäre etwas frei», sagt der KI-Assistent, der bereits online im Terminplan nachgeschaut hat. Dr. Wenger ist Elisabeths Gesundheitsmanager und Vertrauensarzt und hat Zugriff auf ihre Gesundheitsdaten. «Soll ich dich anmelden und Dr. Wenger die Ganganalyse schon zukommen lassen?» Elisabeth überlegt kurz und stimmt dann zu. «Wenn das für dich in Ordnung ist, brauche ich noch kurz deinen Fingerabdruck», meint der KI-Assistent.

2023 – Herausforderungen und Chancen

Das Gesundheitswesen steht vor grossen Herausforderungen. Dazu gehören neue Versorgungsformen wie Care@Home oder die Verschiebung von stationär zu ambulant, die Frage nach einer einheitlichen Finanzierung, die demografische Verschiebung und der enorme Fachkräftemangel. Auch die schnelle technologische Entwicklung bringt Schwierigkeiten mit sich, denn sie verursacht hohe zusätzliche Kosten. Und die überall aufkommende datenbasierte Medizin, die zu neuen Formen der personalisierten Diagnostik und Therapie und zu frühen Vorhersagen von Erkrankungen und entsprechend frühen Interventionen führt, steht einem stärker werdenden Bewusstsein für Datenschutz gegenüber.

2033 – immer top informiert

Elisabeth wird am Dienstag von einem selbstfahrenden Auto abgeholt. Sie kann bereits während der Fahrt einige Fragen von Dr. Wenger beantworten, der diese von einer KI hat erstellen lassen. Über den Bildschirm erfährt sie zudem, dass neue Erfolge in der Krebsvorsorge und -therapie zu verzeichnen sind. Man hat dank der Kombination von Lifestyle-, Behandlungs-, Labor- und Genominformationen gepaart mit KI und neuen Immuntherapieformen eine höhere Stufe der personalisierten Medizin erreicht. Weiter liest sie, dass man Demenz dank Früherkennung deutlich würdiger angehen kann und dass Fettleibigkeit besser therapierbar ist, weil die Ursachen dank KI-gestützten Analyseverfahren besser verstanden werden.

2023/2033 – ohne verfügbare Daten ist alles nichts

Das eine oder andere aus dem Szenario von 2033 wird so oder so ähnlich kommen. Die Erfahrung zeigt aber auch, dass der Fortschritt oft anders aussieht, als man glaubt. Allerdings: Die Technologien, um solche Szenarien Wirklichkeit werden zu lassen, sind bereits heute vorhanden. Doch die Gesellschaft wird darüber verhandeln müssen, ob in Zukunft die persönlichen Gesundheitsdaten freiwillig und sicher verwendet werden können.

Prof. Dr. Jürgen Holm

ist Fachbereichsleiter Medizininformatik an der Berner Fachhochschule (BFH). Als promovierter Neurobiologe an der ETH Zürich befasste er sich von Beginn an mit den Möglichkeiten der Informatik in der medizinischen Forschung und in Behandlungsabläufen. Als Gründer diverser Start-ups im Bereich der Medizininformatik bekam er 2009 den Auftrag, eine Abteilung für Medizininformatik an der BFH zu konzipieren und aufzubauen. Am 2015 gegründeten Institut für Medizininformatik (I4MI) mit 20 Mitarbeitenden belegen heute gut 150 Studierende den Bachelorstudiengang.

Wer ist eigentlich Frau Brönnimann?

I4MI verfügt über ein aussergewöhnliches Living-Lab, das die Behandlungsabläufe im Schweizer Gesundheitswesen aus Sicht der Patientinnen und Patienten nachstellt. Elisabeth Brönnimann ist die Modellpatientin des Living-Lab. Sie ist nur bedingt steuerbar. Das heisst, sie entscheidet gemeinsam mit den Behandelnden, aber häufig auch völlig selbstständig, wie sie sich im Gesundheitswesen entlang ihrer Gesundheits- und Krankengeschichte bewegt.

Prof. Dr. Jürgen Holm
Fachbereichsleiter Medizininformatik
Berner Fachhochschule (BFH)