• Perspektivenwechsel

Bestens vernetzt

Die Weltwirtschaft baut auf verlässliche Lieferketten. Die Pandemie hat dies nochmals nachdrücklich bestätigt. In der Schweiz übernehmen Bahn und Lastwagen die grossen logistischen Aufgaben. Kleinere Fahrzeuge befördern die Waren bis zur Haustür – zum Beispiel für Heimlieferservices. Das bedeutet viele Motoren und eine entsprechend grosse Belastung für die Umwelt. Deshalb geht die Schweiz in Zukunft neue Wege. Das Projekt «Cargo sous terrain» sieht vor, Güter unterirdisch zu befördern. Ein visionäres Projekt, das Carmen Bachmann, Projektleiterin Market & Operations der Cargo sous terrain AG, kurz CST, seit zwei Jahren beschäftigt.  

Nur noch vereinzelte, elektrisch betriebene Transportfahrzeuge schnurren über die Strassen, zwei- oder vierrädrige E-Mobile haben die Kleinlaster abgelöst. Dennoch kommen die Güter schnell ans Ziel, sogar weitaus schneller als heute. Denn sie gelangen auf unterirdischen Wegen von A nach B – vollautomatisch über selbstfahrende, unbemannte Fahrzeuge. Eine realitätsferne Vorstellung? Was wie eine Vision der Zukunft klingt, könnte schon bald wahr werden. Davon ist Carmen Bachmann überzeugt. Wir haben sie zum Projekt befragt.

«CST entlastet Mensch und Umwelt von Abgasen und Lärm. Wir rechnen mit bis zu 80 Prozent weniger CO2-Ausstoss pro transportierte Tonne Güter.»

Carmen Bachmann

AH: Wie nachhaltig ist Cargo sous terrain?

CB: Der nachhaltige Transport von Gütern ist die Grundidee von CST. Das Projekt wird pro transportierte Tonne Güter bis zu 80 Prozent CO2 einsparen. Zudem verringert sich der Schwergüterverkehr auf der A1 um etwa 40 Prozent, der Lieferverkehr in den Städten und Hubs um bis zu 30 Prozent. Die unterirdische Streckenführung verhindert zudem die Zerstörung wertvoller Flächen und Landschaften. CST entlastet Mensch und Umwelt von Abgasen und Lärm.

Auf welche Weise erreicht CST dieses Ziel?

Wir planen, Güter von Produktions- und Logistikstandorten über unterirdische Tunnel in städtische Zentren zu schicken. Von dort bringen autonom fahrende Elektrotransporter die Waren im 24/7-Modus an die Zielorte. Jedes Fahrzeug kann maximal zwei Paletten laden. So erreichen auch kleinteilige Artikel kurzfristig ihr Ziel. Unser Konzept ist ein One-Stop-Shop mit Feinverteilung von Tür zu Tür. Dazu gehört auch das Projekt «Citylogistik», an dem die Stadt Zürich mitarbeitet. Ziel ist es, durch rein private Finanzierung eine rentable Logistikplattform zu schaffen, die für alle zugänglich ist. Vielleicht wird das auch für Stämpfli eine interessante Alternative.

Wird CST die Transportbranche in der Schweiz verändern?

Bis 2040 nimmt der Güterverkehr um etwa 37 Prozent zu. Dieses Wachstum soll CST absorbieren. Wir möchten die heutigen Akteure nicht verdrängen, sondern einbinden. Die Transportbranche ist ein Partner für CST, auch wenn einige das Projekt kritisieren. Wir sehen es aber als Chance für den Transport. Im Stau zu stehen, ist nicht lukrativ.

Wer finanziert das Projekt?

In erster Linie private Investoren. Die breite Unterstützung zeigt, dass es Handlungsbedarf gibt. Alle Akteure eint das Ziel, eine zuverlässige und nachhaltige Güterversorgung aufzubauen. Eine komplexe Herausforderung bei der grossen Anzahl Partner. Aber auch eine lohnenswerte Aufgabe, denn das Projekt gewährleistet schon beim Start eine Auslastung. Selbstverständlich sind wir darüber hinaus im Austausch mit den Behörden und der Politik. Sie schaffen die Rahmenbedingungen, zum Beispiel mit dem Bundesgesetz über den unterirdischen Gütertransport (UGüTG), das im Dezember vom Parlament verabschiedet wurde.

Was ist als Nächstes geplant?

Die kommenden Schritte umfassen das Beantragen der Baubewilligung, weitere Forschung und das Entwickeln der ersten Etappe von Härkingen/Niederbipp nach Zürich. Der Baubeginn ist für 2026 geplant. 2031 soll die erste Etappe in Betrieb genommen werden. Dann folgt der schrittweise Ausbau bis 2045.

Wie hält man die Motivation über einen so langen Zeitraum aufrecht?

Ein Projekt dieser Grössenordnung braucht eine lange Vorbereitung. Zehn Jahre sind da schon fast schnell. Zudem laufen die ersten Versuche der «Citylogistik» bereits. Es ist eine grosse Herausforderung, das Projekt in sinnvolle Arbeitspakete aufzuteilen. Ich verfüge über Ausbildungen in den Bereichen Technik, Betriebswirtschaft und Nachhaltigkeitsmanagement. Im Projekt CST finde ich die Verbindung von allen dreien und kann meinen Teil zu einem neuen und innovativen Projekt beitragen. Seit zwei Jahren, jeden Tag.


«Verkehrspolitik wandelt sich zunehmend zu Klimapolitik. Die ASTAG und ihre Mitglieder sind seit Jahren bestrebt, die Transportdienstleistungen effizienter, sicherer und umweltverträglicher zu machen.» – André Kirchhofer

Bis das Projekt «Cargo sous terrain» CST umgesetzt werden kann, entwickelt sich der Strassen- und der Schienentransport in der Schweiz weiter. Auch aufgrund der Arbeit des Schweizerischen Nutzfahrzeugverbands ASTAG. André Kirchhofer ist Vizedirektor der ASTAG. Für ihn führt der Weg in die Zukunft weiterhin über Strassen und Schienen – zumindest bis zum Start des Projekts CST. Wir haben auch ihm einige Fragen zum Projekt «Cargo sous terrain» und zur Zukunft des Güterverkehrs gestellt.

AH: Wird CST die Transportbranche verändern?

AK: Die Schweiz ist das einzige Land, das neben den vier bekannten Verkehrsträgern Strasse, Schiene, Wasser und Luft künftig auf eine völlig neue Transportform setzen wird: die unterirdische Beförderung von Gütern über lange Strecken. Insofern ist das Projekt innovativ. Die Frage ist, ob es auch finanziert werden kann.

Welche Rolle hat Ihr Verband im Bereich Transport?

Das Strassentransportgewerbe ist systemrelevant. Unser Auftrag ist es, für die Fahrenden von Lastwagen, Reisebussen und Taxis bestmögliche Rahmenbedingungen zu schaffen. Sei es in der Politik, in der Aus- und Weiterbildung, in der Nachwuchsförderung oder beim Image der Branche. Die Schweizer Politik lebt von ständigen Diskussionen, vom Ringen um die beste Lösung und vom Kompromiss. Es ist entscheidend, die eigene Haltung möglichst frühzeitig einzubringen – an der richtigen Schnittstelle zwischen Politik, Wirtschaft und Medien.

Unser Thema ist Nachhaltigkeit, wie nachhaltig ist die ASTAG und sind eure Mitglieder? Wie geht der Verband das Thema an?

Verkehrspolitik wandelt sich zunehmend zu Klimapolitik. Die ASTAG und ihre Mitglieder sind seit Jahren bestrebt, einen wirksamen Beitrag für umweltverträglichere Transportdienstleistungen zu erbringen. Mit Erfolg: Dank laufender Flottenmodernisierung werden mittlerweile 96 Prozent aller Tonnenkilometer mit neuesten Fahrzeugen der EURO-Normen 5 und 6 zurückgelegt. Der Schadstoffausstoss wie zum Beispiel von Kohlenmonoxid sank dadurch auf nahezu Null. Das Engagement geht weiter, sei es durch den Einsatz von CO2-neutralen Fahrzeugen mit alternativen Antriebsformen wie Wasserstoff, Elektro oder Biogas sowie dem Bekenntnis zu einer Halbierung der CO2-Emissionen bis 2030 gegenüber 1990.

26,8 Milliarden

Schiene und Strasse

2020 betrugen die Transportleistungen auf den Schweizer Strassen 17 Milliarden Tonnenkilometer, auf der Schiene zusätzliche 9,8 Milliarden. Ein Tonnenkilometer entspricht der Beförderung einer Tonne über einen Kilometer. Die Distanz von der Erde zum Neptun (äusserster Planet im Sonnensystem) beträgt 4,7 Milliarden Kilometer. Zum Vergleich: 1950 waren es 3,1 Millionen Tonnenkilometer. Das sind 0,01 Prozent der heutigen Transportleistung.

1,5 Prozent

Elektroautos

Der Bestand der Strassenmotorfahrzeuge (ohne Motorfahrräder) ist zwischen den Jahren 2000 und 2021 um 38 Prozent auf 6,3 Millionen angestiegen. Rund drei Viertel davon sind Personenwagen, wobei seit einiger Zeit ein Trend hin zu Fahrzeugen mit Hybrid- oder Elektroantrieb besteht. Reine Elektroautos waren 2021 etwa 70 200 immatrikuliert, was einem Anteil an den Personenwagen von 1,5 Prozent entsprach.

452 186 Fahrzeuge

Lieferwagen und Lastwagen

In der Schweiz sind 452 186 Fahrzeuge für den Transport von Gütern registriert. Der Lieferwagenbestand (Kurierfahrzeuge) hat zwischen 2000 und 2020 um 75 Prozent zugenommen, während die Zahl der Lastwagen um 3 Prozent zurückgegangen ist.

Zwei Drittel aus dem Ausland

Alpenüberquerung

Überquerten im Jahr 1961 noch 312 000 Fahrzeuge die Alpen, so sind es heute 863 000. Im Jahr 2000 wurde mit 1 404 000 Fahrzeugen ein Rekordwert erzielt. Die Zahl sinkt aber seit … wieder, da immer mehr Transporte auf die Schiene verlegt werden. Von den Fahrzeugen stammen rund zwei Drittel aus dem Ausland.