- Vorwort
Faktenfrei
Vor Urzeiten, so scheint es mir, gab es im damaligen Radio Beromünster – heute SRF1 – am Montagabend den «Briefkastenonkel» zu hören. Seine Sendungen begann er immer mit der Anrede «Liebe Nichten und Neffen», um dann die Fragen zu beantworten, die ihm per Brief oder Postkarte zugesandt worden waren. E-Mail, Internet und damit Wikipedia gab es nicht, dafür stand in manch einem Haushalt ein mehrbändiges Lexikon als Wissensschatz im Bücherregal.
Vor Urzeiten, so scheint es mir, gab es im damaligen Radio Beromünster – heute SRF1 – am Montagabend den «Briefkastenonkel» zu hören. Seine Sendungen begann er immer mit der Anrede «Liebe Nichten und Neffen», um dann die Fragen zu beantworten, die ihm per Brief oder Postkarte zugesandt worden waren. E-Mail, Internet und damit Wikipedia gab es nicht, dafür stand in manch einem Haushalt ein mehrbändiges Lexikon als Wissensschatz im Bücherregal.
Heute haben wir unglaublich viele Möglichkeiten, uns Informationen zu beschaffen. Wikipedia habe ich erwähnt, aber auch sonst können online in kürzester Zeit Angaben zu fast x-beliebigen Themen gefunden werden. Die Schwierigkeit besteht allerdings darin, zu erkennen, ob das Gefundene auch stimmt. Die lexikografischen Verlage boten Gewähr, dass ihre Redaktionen mit Akribie die Fakten zusammentrugen, ihr Renommee hing davon ab.
Wissen ist die Basis fürs Begreifen. Wer nicht begriffen hat, kann auch nicht verstehen. Der Literaturnobelpreisträger Elias Canetti hat einmal geschrieben: «Wie überzeugend klingt alles, wenn man wenig weiss!» Man kann nur staunen, wie viel Unfug heute als zu akzeptierende Meinungen in die Welt gesetzt wird, über wie viel Unsinn in epischer Länge diskutiert wird, ohne dass man sich vorher fragt, ob denn die Basis, auf der die Behauptung aufgebaut ist, überhaupt stimmt. Faktenfrei werden solche Theorien erstellt, wer sie ablehnt, gilt schnell als intolerant: Alles soll Platz haben. Dabei sind Wirrungen, die heute noch behaupten, die Erde sei eine Scheibe, nur die offensichtlichsten Dummheiten. Viel subtilere Irrmeinungen geistern umher und führen zu echtem Schaden.
Ja, il faut de tout pour faire un monde, es gibt nichts, was es nicht gibt. Wir behaupten aber, in einer Wissensgesellschaft zu leben. Fakten sind gegeben, wenn sie einer objektivierbaren Überprüfung standhalten, etwa die Erkenntnis, dass die Erde eben eine Kugel ist. Aber offensichtlich ist es heute durchaus wirkungsvoll, völlig frei von faktischem Wissen die Meinung vieler zu beeinflussen und daraus breite Strömungen zu bewirken. «Gefühltes Wissen» titelte vor Kurzem ein Artikel in der Zeitung NZZ. Aber Wissen ist eben nicht ein Gefühl, es basiert auf Tatsachen. Wer auf faktenfreien Theorien sein Weltbild aufbauen will, soll es tun, jedoch ist jeder dazu aufgerufen, Heilslehren, populistische Politiken, Weltbilder und anderes mehr immer einem Faktencheck zu unterziehen.
Aus theologisch-philosophischen Diskursen kennt man die Theoreme credo quia absurdum – ich glaube es, weil es unmöglich scheint – und credo ut intelligam – ich glaube, damit ich erkennen kann. In diesem Kontext sind solche Überlegungen sinnvoll und angemessen. Es sind aber keine Massgaben für Politik oder gar Wissenschaft. Nicht alles, was wir verstehen, kann erklärt werden. Wo aber Tatsachen behauptet werden, kann überprüft werden. Es liegt an uns, kritisch und mit Verstand zu hinterfragen, was uns als scheinbar neue Erkenntnis vorgesetzt wird.