• Perspektivenwechsel

«Das Potenzial ist riesig»

Die Kommunikation mit Kundinnen und Kunden hat sich stark verändert: Sie wollen heute mit Themen angesprochen werden, die für sie relevant sind, und nicht unrelevante Angebote und Informationen im Übermass erhalten. Das Unternehmen Gerstl Weinselektionen hat deshalb bereits im Jahr 1999 damit begonnen, Kundendatenstrukturen aufzubauen.

Im Gespräch mit Roger Maurer, Geschäftsführer von Gerstl Weinselektionen

Seit 1999 beschäftigen Sie sich mit dem Thema der datenbasierten Kundenansprache. Was hat sich seit damals verändert? Und was war der Auslöser dafür, dass Sie sich mit diesem Bereich auseinandergesetzt haben?

Technisch gesehen hat sich eigentlich gar nicht so viel verändert. Es gab vor 25 Jahren zwar noch den Fax, den heute fast niemand mehr verwendet, dafür gab es die sozialen Medien noch nicht in der Form wie heute. Aber man verwendete damals bereits das Direct Marketing in Form von Newslettern. Klar, das Internet war zu dieser Zeit noch nicht so relevant. Was sich jedoch gewandelt hat, ist das Verhalten der Kunden: Sie sind heute deutlich digitaler unterwegs, was die Möglichkeiten von Suchmaschinenmarketing und der Anreicherung der Daten stark verändert hat.

Bei uns war ein wichtiger Auslöser der Wunsch, unsere Kunden zielgruppenrelevant anzusprechen. Wir mussten und müssen aber auch vorsichtig sein, da wir uns in einem sehr homogenen Umfeld bewegen, sprich wir sind nur im Bereich Wein zu Hause. Branchenfremde oder grössere Firmen haben hier ein anderes Spektrum. Die Gefahr besteht darin, dass wir uns zu Tode selektionieren und dabei die Möglichkeit verlieren, unseren Kunden auch mal für sie neue Dinge zu zeigen. Deshalb müssen wir sie zuerst kennenlernen. Diese Phase dauert rund ein Jahr und ist wichtig, weil wir sie nicht von Produkten ausschliessen wollen. Nach dieser Anfangszeit werden die Daten fortlaufend angereichert, und wir können mit dem Selektionieren der Informationen über den Kunden beginnen. Das bedeutet beispielsweise, dass ein Kunde, der drei Jahre lang keinen italienischen Wein bestellt, von uns auch nur noch wenige italienische Weine empfohlen bekommt.

Machen andere Weinhandlungen dasselbe?

Von den 5000 Weinhandlungen, die es in der Schweiz gibt, sind wir sicher die extremsten. Wir generieren unseren Content sehr aufwendig und spielen diesen dann per Post, Newsletter oder Internet aus. Dank dem Data-driven Marketing sind wir dabei in der Lage, die Inhalte gezielt an die richtigen Kunden auszuspielen. Sieben- bis achtmal pro Jahr versenden wir zudem ein grosses Mailing, das hilft, die bestehenden Daten aktuell zu halten. Unser Datenhandling gibt uns auch einen Wettbewerbsvorteil: Wir bewegen uns bei einigen Weinen in einem Premiumsegment, in dem die Nachfrage grösser ist als das Angebot. Da freut es unsere Kunden, wenn sie gezielt über Raritäten informiert werden, und sie nehmen diese Dienstleistung als enorme Wertschätzung wahr. Das Ganze ist aber nur möglich dank der gesammelten Daten.

Was ist Ihr Erfolgsrezept, um die datengetriebenen Marketingstrategien effektiv umzusetzen?

Wir können sehr schnell unsere Kunden segmentieren und so eine zielgerechte Ansprache erreichen. Dabei hilft uns einerseits unser sehr gutes CRM-System, andererseits und vor allem auch unsere langjährige Erfahrung. Diese ist wichtig, weil ein Kunde, der ausschliesslich spanischen Wein trinkt, keine Empfehlungen von deutschen Weinen benötigt; das weiss unser System nicht, wir aber schon.

Da Sie schon lange die datenbasierte Kundenansprache verwenden, hat sich sicherlich einiges getan: Inwiefern mussten die internen Prozesse und Systemlandschaften angepasst werden?

Bei der Evaluation vor Jahren wählten wir ein System, das damals unseren Anforderungen entsprach. Glücklicherweise hat sich das Unternehmen immer in unserem Interesse weiterentwickelt, sodass wir uns nie nach einer Alternative umschauen mussten. Wichtig sind für uns automatisierte Abläufe, unkompliziert einzurichtende Schnittstellen, das einfache Erfassen von On- und Offline-Mailings und -Kampagnen sowie die reibungslose Funktion der Datenanalyse und der Auswertung.

Wir haben viel über das Digitale gesprochen. Hat Print für Gerstl Weinselektionen heute und in Zukunft auch noch eine Berechtigung?

Wir stellen uns halbjährlich die Frage, ob Print für uns noch ein relevanter Kanal ist, und werten die Zahlen genau aus. Tendenziell sind die gedruckten Mailings kleiner, dafür enthalten sie nur die für den Kunden relevanten Inhalte. Dadurch wird die Produktion günstiger, und das ersparte Geld geben wir etwa für SEO, Google Ads oder die Verbesserung unseres Internetauftritts aus. Diese Form der Mailings wird extrem geschätzt. Die Printprodukte sind lange im Umlauf und sind ein gutes Kundenbindungsinstrument. Trotz der höheren Kosten ist es deshalb gut möglich, dass wir noch die nächsten zehn Jahre so weitermachen, weil der Impact und die Rückmeldungen sehr gut sind und sich dies für uns rechnet. Aber: Rund fünf Prozent der Kunden wollen bewusst nichts Gedrucktes. Diese werden per E-Mail angeschrieben.

«Ein Kunde, der ausschliesslich spanischen Wein trinkt, benötigt keine Empfehlungen von deutschen Weinen; das weiss unser System nicht, wir aber schon.»

Roger Maurer

Haben Sie auch Response-Elemente, Rabatt-Codes usw. im Einsatz?

Da wir uns unter anderem im Premiumsegment bewegen, sind wir etwas vorsichtig mit Rabatt-Codes. Individuell können sie zwar zum Einsatz kommen, dies aber eher bei der Neukundengewinnung, so gibt es bei einer Newsletter-Anmeldung zurzeit einen Gutschein. Zudem arbeiten wir mit Partnern: Wer zum Beispiel bei der «Aargauer Zeitung» das Abo verlängert, erhält einen Gutschein. Wir sind aber allgemein nicht so ausgefallen unterwegs, schon rein vom Produkt und von der Zielgruppe her. Diese ist vor allem männlich und über 30 Jahre alt.

Das alles klingt, als hätten Sie mit Ihrem Datenmanagement alles erreicht.

Wir haben zwar schon früh mit dem Sammeln, Analysieren und Verarbeiten von Daten angefangen, haben aber auch noch viele Jahre vor uns. Es ist immer noch ein grosses Potenzial vorhanden, und wir werden stetig weiter ausbauen. Da die Daten bei uns laufend aktualisiert und angereichert werden, sind wir auch in der Ausspielung sehr schnell.

Und wie sieht es in Sachen Kosten aus? Wie schätzen Sie das Kosten-Nutzen-Verhältnis des datengetriebenen Marketings ein?

Für uns rechnet sich der ganze Aufwand, das sehen wir an den Feedbacks unserer Kunden, am Wettbewerbsvorteil gegenüber unseren Mitbewerbern und am Erfolg, den wir haben. Wir generieren höchst qualitativen Content und spielen diesen gezielt aus, wir wollen uns nicht über den Preis, sondern über die Qualität abheben. Und das geht eigentlich nur mit datengetriebenem Marketing. Was aber passieren würde, wenn wir damit aufhören würden, können wir auch nicht abschätzen.

Haben Sie zum Schluss noch einen Tipp für andere Unternehmen, die mit datengetriebenem Marketing beginnen möchten?

Das Wichtigste ist, dass es Zeit braucht. Datengetriebenes Marketing macht man nicht von heute auf morgen, man muss über längere Zeit äusserst konsequent sein. Die Daten muss man laufend überarbeiten und anpassen. Und man ist nie am Ziel, denn es gibt immer noch sehr viel Potenzial nach oben. Sogar wir, die wir uns schon sehr lange damit beschäftigen, haben noch einen langen Weg vor uns.

Über Gerstl Weinselektionen

Gerstl Weinselektionen, gegründet 1981, ist eine renommierte Weinhandlung in der Schweiz mit einem erstklassigen und vielfältigen Sortiment. Die Leidenschaft für grosse Weine von kleineren Gütern aus den bedeutendsten Weinregionen Europas gehört seit der Anfangszeit zu der Firma. Gerstl bietet zudem eine hochqualifizierte und persönliche Beratung.

Bruno Schaub
Verantwortlicher Geschäftsfeld Individualisierung
Stämpfli Kommunikation
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