• Vorwort

Winterkälte

Draussen ist es bitterkalt. In den Bergen, wo ich dies schreibe, liegt der Schnee hoch, die Bäume sind kahl, die Tannen tragen weisse Hauben. Es ist richtig Winter! Und so scheint es fast paradox, dass diese zugefrorene Landschaft den Frühling in sich trägt. Der Wandel in der Natur bringt es immer wieder mit sich, dass etwas untergehen muss, wenn etwas Neues entstehen soll. Die gleiche Landschaft, die nun weiss und kalt vor mir liegt, wird im Bergsommer wieder blühen und mit Farben nicht geizen. Und ebenso sicher wird der Herbst einen letzten Farbtupfer setzen, bevor im Winter wiederum alles in sich ruht.

Die Natur verliert nichts in diesem Wandel. Was vergeht, wandelt sich in neue Kraft. Friedrich Schiller hat es für mich eingänglich zusammengefasst:

Aber nichts ist verloren und verschwunden,

Was die geheimnisvoll waltenden Stunden

In den dunkel schaffenden Schoß aufnahmen.

Die Zeit ist eine blühende Flur,

Ein großes Lebendiges ist die Natur,

Und alles ist Frucht, und alles ist Samen.1

Die meisten von uns tun sich schwer mit dem Wandel. Wir sind doch meist froh über stabile Zustände und möchten oft, dass alles bleibt, wie es ist. Dabei wissen wir selbstverständlich, dass nichts bleiben kann, wie es ist. Im Leben müssen wir diesen Wandel der Natur mitmachen. Das zeigt uns der Weg von der Geburt bis zum Tod, der immer ein Weg des Wandels ist. Aber auch dazwischen gilt es, Altes abzulegen, vergehen zu lassen, damit aus uns heraus etwas Neues werden kann. Zu lange stehen zu bleiben im Leben macht uns träge, schneidet uns aber auch ab von eben dieser Kraft, die im Wechsel begründet liegt.

Wir brauchen für uns die winterkalten Tage, damit sich in uns etwas verändern und uns bereit machen kann, in einen neuen Lebenszyklus aufzubrechen. Eigentlich ist diese Zeit die Voraussetzung, dass es auch wieder Frühling und Sommer wird, dass auch wieder Phasen im Leben kommen, in denen wir uns kräftig und lebendig fühlen. Wir müssen sogar zulassen, dass wir immer wieder Herbst und Winter erleben, um unser Leben so gestalten zu können, dass aus uns heraus Neues werden kann. Deshalb ist der Wandel keine Bedrohung, sondern eine Chance, die wir alle immer wieder haben.

1 aus: «Die Braut von Messina»