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Handicaps im Arbeitsalltag

Physische Beeinträchtigungen oder andere Barrieren wie Legasthenie oder Dyskalkulie bleiben im Berufsalltag oft unbemerkt, führen aber bei den Betroffenen zu Frustration und Unsicherheit. In einer vielfältigen Arbeitswelt ist jedoch die Inklusion von Menschen mit Handicaps und Lernschwächen von zentraler Bedeutung. Möglichst alle sollen ihren individuellen beruflichen Weg gehen können, dank Aufklärung und gezielter Unterstützung, die ein integratives Arbeitsumfeld schaffen. Eine Organisation, die sich dies zum Ziel gesetzt hat, ist die Stiftung Profil – Arbeit & Handicap.

Coach bei Profil – was bedeutet das?

Marianne Moser ist Fachberaterin für Arbeitsintegration bei Profil und coacht Menschen mit unterschiedlichen Handicaps, die im allgemeinen Arbeitsmarkt tätig sind. Ihre Klientinnen und Klienten sind sehr vielfältig, von jungen Menschen vor oder in der Ausbildung bis zu Erwachsenen mit oder ohne IV-(Teil-)Rente ist alles dabei. Auch die Art und der Schweregrad der physischen, psychischen und kognitiven Handicaps variieren stark, wobei Neurodivergenzen wie Autismus und AD(H)S besonders häufig vorkommen. Die Arbeit ist klientenzentriert und basiert auf den Prinzipien von Supported Employment und Supported Education. Das bedeutet, dass sich Marianne Moser auf die individuellen Bedürfnisse und Ressourcen der Personen konzentriert und dass gemeinsam Lösungsansätze erarbeitet werden. Zu den Aufgaben einer Coach gehören etwa das Erstellen von Potenzialeinschätzungen und Fähigkeitsprofilen, das Bewerbungscoaching, die Akquise von passenden Schnupper-, Lehr-, Praktikums- oder Arbeitsstellen sowie das Coaching am Arbeitsplatz, im Lehrbetrieb oder an der Berufsfachschule. Marianne Moser kümmert sich allerdings nicht nur um die Personen mit Handicap, sondern berät und unterstützt auch Arbeitgebende und Lehrpersonen in Zusammenarbeit mit den auftraggebenden Stellen. Dies können etwa die IV, das Case Management Berufsbildung, Sozialdienste oder das RAV sowie medizinische Fachpersonen sein.

Viele Herausforderungen

Menschen mit Handicap stehen in ihrem Arbeitsalltag vor sehr unterschiedlichen Herausforderungen. Eine Person im Autismus-Spektrum hat vielleicht Konzentrationsprobleme im Grossraumbüro, wohingegen jemand im Rollstuhl nicht durch die Tür des Einzelbüros kommt. Generell sind jedoch Unverständnis und Unkenntnis bei den Vorgesetzten und Mitarbeitenden sowie die eigenen Leistungs- und Belastungsgrenzen aufgrund der gesundheitlichen Einschränkungen grosse Hürden. Um diese zu überwinden, hilft eine gute Aufklärung aller Beteiligten sowie deren Bereitschaft, den Arbeitsplatz und die Erwartungen anzupassen. Eine offene, inklusive Haltung im Betrieb sowie die Bereitschaft von Führungskräften und Teams, sich zu informieren und eine positive Einstellung zu entwickeln, sind ebenfalls entscheidend. Und genau dabei kann eine externe Fachperson wie Marianne Moser entlasten.

(Fast) grenzenlose Möglichkeiten

Um Menschen mit Handicaps im regulären Arbeitsmarkt eine Chance zu geben, gibt es verschiedene Möglichkeiten, zum Beispiel eine Ausbildung im allgemeinen Arbeitsmarkt, bei der die IV den Betrieb finanziell und mit einem Coaching unterstützt. Eine weitere Option ist die Anstellung zum Leistungslohn. Dabei werden für die betroffene Person angepasste Leistungsziele erarbeitet, an die der Lohn entsprechend angeglichen wird. Bei Arbeitsversuchen wiederum wird die Zusammenarbeit im Auftrag der IV drei bis sechs Monate ausprobiert. Danach entscheiden die Beteiligten, ob eine Festanstellung sinnvoll ist. Auch die Stiftung Profil bietet Unterstützung: Sie betreibt einen Personalverleih für Personen mit Handicap. Dabei engagiert der Einsatzbetrieb die Person ohne Risiko, ähnlich wie bei sonstigen temporären Mitarbeitenden. Die Möglichkeiten sind also vielfältig. Es braucht aber Unternehmen, die bereit sind, individuelle Lösungen für die Inklusion von Menschen mit Handicap zu entwickeln. Das lohnt sich nicht nur aus sozialer, sondern auch aus ökonomischer Sicht, denn Menschen mit Beeinträchtigungen bringen oft wertvolle Qualifikationen und eine grosse Motivation mit.

Was wir tun können

Um ein besseres Verständnis und mehr Unterstützung für Menschen mit Handicap in der Gesellschaft zu fördern, müssen wir uns aktiv mit der Frage beschäftigen, wie Inklusion gefördert werden kann, und dies nicht nur am Arbeitsplatz. Unternehmen können jedoch aktiv Diversität und Inklusion fördern und es so Menschen mit und ohne Handicap vereinfachen, miteinander in Kontakt zu kommen, Berührungsängste abzubauen und das gegenseitige Verständnis zu stärken.

Erfahrungsbericht

Peter Stämpfli,  Verwaltungsratspräsident Stämpfli AG

«Ich habe Legasthenie, das bedeutet, dass ich Mühe habe mit der Rechtschreibung und mit dem Auseinanderhalten von links und rechts. Auch vertausche ich Wörter. Ich habe aber gelernt, in Situationen, in denen andere nicht einmal nachdenken, die für mich aber heikel sind, mich besonders zu konzentrieren. Bei der Rechtschreibung suche ich mir oft Hilfe und bin dankbar, wenn ich meine Texte korrigieren lassen kann. Die Rechtschreibung bereitete mir schon in der Schule erhebliche Mühe, weil ich Buchstaben vertauschte oder sie ganz wegliess oder hinzufügte, wenn das Wort phonetisch gleichbedeutend blieb. Im Rechnen wiederum waren es die Schnellrechenaufgaben, die mir besondere Schwierigkeiten bereiteten. Ich muss mich bis heute darauf konzentrieren, dass in einer mehrstelligen Zahl die gesprochene Zahlenreihenfolge nur teilweise der geschriebenen entspricht. In der Schulzeit war es mein Glück, dass mein Primarlehrer die Legasthenie erkannte. Er verstand so, welche Probleme ich hatte. Ab der fünften Klasse musste ich dann weitgehend selbst schauen, wie ich mit meinen Stolpersteinen umgehen konnte. Dies ist heute in der Schule sicher anders.»

Luana Leist
Lernende Polygrafin
Stämpfli Kommunikation
+41 31 300 65 90