• Perspektivenwechsel

Ein lebenslanger Begleiter

Kochen und Essen sind wesentliche Bestandteile unseres Alltags. Deshalb wird auch in der Schule Wissen zu diesem Thema vermittelt. Dabei fällt auf, dass die Jugendlichen immer weniger Vorkenntnisse mitbringen. Die Schulverlag plus AG möchte das im Herbst 2025 mit dem «Kleinen Tiptopf» ändern. Er soll Kindern ab vier Jahren erste selbstständige Schritte in der Küche ermöglichen.

Das Kultkochbuch «Tiptopf» erhält Nachwuchs

Blick in eine beliebige Schulküche irgendwo in der Schweiz: Ein Dutzend Jugendliche stehen an ihren Arbeitsflächen und beugen sich mehr oder weniger konzentriert über verschiedene Lebensmittel, die sie zu einem Gericht verarbeiten sollen. Im Rezept kommen Kräuter vor: Basilikum, Rosmarin, Thymian. «Keine Ahnung, was was ist», sagt der eine Teenager zu seiner Kollegin. Die schaut sich die grünen Zweige an und zuckt nur mit den Schultern.

Das ist nur ein kleines Beispiel dafür, wie sich das Wissen rund um das grosse Thema Ernährung langsam, aber sicher verringert. Die Lehrpersonen des neu ausgerichteten Fachbereichs Wirtschaft, Arbeit, Haushalt (WAH) stellen fest: Wenn die Jugendlichen in der Oberstufe erste Schritte in der Schulküche unternehmen, haben sie häufig keine Vorstellung davon, was mit einem Lebensmittel passiert, wenn es erhitzt, gebraten, gekocht oder tiefgekühlt wird. Dies ist keineswegs als Vorwurf zu verstehen. Die Gründe dafür liegen in einer Gesellschaft, in der sich immer weniger Zeit findet, für sich und andere tagein, tagaus Mahlzeiten zuzubereiten, geschweige denn, sich stundenlang hinzusetzen und diese zu geniessen. Hinzu kommt die Vielfalt an fixfertigen Gerichten in Supermärkten oder Restaurants. Alles ist ums Eck verfügbar. Selbst wenn man mal Lust auf etwas Spezielles hat, findet sich das ohne grossen Aufwand.

Ein Generationenwerk

Denken wir an unsere Schulzeit zurück, haben die meisten von uns lustige Geschichten vom Kochunterricht parat: Erinnerungen an kleinere Missgeschicke, übersüssten Tee, versalzene Pasta oder verformte Grittibänzen. Viele von uns haben in den letzten 40 Jahren nicht primär zu Hause die ersten Erfahrungen in der Küche gesammelt, sondern in der Schule – mit dem Kultkochbuch «Tiptopf». Das 1986 erstmals erschienene Buch war das erste Lehrmittel, das in den Schweizer Schulküchen flächendeckend Einzug hielt. Seither hat es Generationen von Jugendlichen die Grundlagen der Ernährung und zahlreiche Basisrezepte vermittelt.

Der «Tiptopf» begleitet die Menschen auch nach der Schule durchs Leben: in der ersten WG, in der ersten eigenen Wohnung, beim Kochen mit den Kindern und Enkelkindern. Bis heute findet man ihn in den allermeisten Haushalten. Er sorgt dafür, dass das Wissen rund um Essen, Lebensmittel, Regionalität, Saisonalität und Nachhaltigkeit immer wieder hervorgerufen wird.

Warum aber soll man erst mit 13 oder 14 Jahren mit diesem spannenden Themenfeld in Berührung kommen? Ist es nur Aufgabe der Schule, dieses Wissen zu festigen, damit es nicht ganz verloren geht? Oder könnte man nicht schon viel früher ansetzen und versuchen, jüngeren Kindern den Weg in die Küche spielerisch zu öffnen?

Ein Werk für die neuen Generationen?

Die Schulverlag plus AG findet, es ist einen Versuch wert. Ob Kinder Rosenkohl wirklich essen, wenn sie ihn selbst zubereitet haben, ist wohl fraglich. Aber die Chance, dass ein Kind ein neues Nahrungsmittel probiert, das es vorher selbst geschält, geschnitten und/oder gekocht hat, ist sicher um ein Vielfaches grösser. Und das sind doch schon gute Aussichten.

Wenn Menschen bereits als Kind erste Erfolgserlebnisse in der Küche verzeichnen, ist dies ein wichtiger Schritt zu mehr Selbstständigkeit, die ihnen spätestens im ersten eigenen Haushalt sehr gelegen kommt. Darum ist unser oberstes Ziel, die Selbstwirksamkeit der Kinder zu fördern. Wir glauben daran, dass die bewusste und frühe Auseinandersetzung mit den Themen Ernährung und Kochen allen hilft, Entscheidungen zu treffen, das Leben erleichtert und sich somit positiv auf das allgemeine Wohlbefinden auswirkt.

Bereits kleine Kinder schaffen in der Küche schon viele Schritte selbstständig – wenn die Anleitung kindgerecht ist.

Wenn Kinder spielen, lernen sie

Kinder sind neugierig – sie wollen lernen und spielen. Wenn diese Komponenten verbunden werden, ist nachhaltiges und spontanes Lernen vorprogrammiert. Darum hat sich das «Tiptopf»-Team Anfang 2024 zum Ziel gesetzt, mit dem «Kleinen Tiptopf» ein Kochbuch zu entwickeln, das bereits vierjährige Kinder verwenden können. Das Ziel ist hochgesteckt, aber machbar – wie aus den Testings hervorgeht.

Die Einteilung in drei Schwierigkeitsgrade soll es allen Kindern ermöglichen, Rezepte aus dem Buch nachzukochen, auch denjenigen, die noch nicht lesen können. Dabei variieren die Darstellungsform, die Zubereitungszeit, die Komplexität und der Einsatz der verschiedenen Küchengeräte – von rein illustriert bis rein textlich und von kalten Speisen bis zu Gerichten vom Herd oder aus dem Backofen.

Wie das Original soll auch «Der kleine Tiptopf» Grundlagenwissen vermitteln. Die Themen wie Saisonalität, Food Waste, ausgewogene Ernährung oder Rüsten/Zerkleinern werden so vereinfacht, dass sie auch für Kinder zugänglich sind. Küchenlabor-Seiten sorgen für Spass mit Stärke, Säure, Hefe und anderen Stoffen. Beim Experimentieren erleben Kinder zum Beispiel hautnah, warum ein Teig unter Zugabe von Hefe im Ofen aufgeht.

Klein ganz gross

In drei Testings im November 2024 ging es ans Eingemachte: Mit den Schülerinnen und Schülern einer fünften und einer sechsten Klasse sowie mit zehn Kindern und deren Betreuungspersonen wurde der Prototyp und somit auch das gesamte Konzept auf die Probe gestellt. Schnell stellte sich heraus: Bereits kleine Kinder schaffen in der Küche schon viele Schritte selbstständig – wenn die Anleitung kindgerecht ist.

Als ein vierjähriges Mädchen in der Illustration die benötigten Lebensmittel erkannte und die Anzahl Cherrytomaten abzählte, merkten wir sofort, dass es auf die Details ankommt. Mit einer grossen Selbstverständlichkeit spiess sie die Lebensmittel in der richtigen Reihenfolge auf die Holzspiesse auf, während sie immer wieder einen Kontrollblick auf die Illustration warf. Daneben schlug ein sechsjähriger Junge, ohne zu zögern, Eier über einer Schüssel auf und verrührte einen Himbeermuffinteig. Er blickte nur kurz fragend zu seiner Mutter, wenn es darum ging, einen Buchstaben oder eine Zahl im Rezept zu lesen.

Am Schluss strahlten die Kinder vor Stolz, dass sie etwas selbst erreicht hatten – und auch die Betreuungspersonen durften in diesen wenigen Stunden erleben, dass die Kinder in manchen Bereichen viel selbstständiger unterwegs waren, als sie es erwartet hätten.

Annic Berset unterrichtete über zehn Jahre lang Hauswirtschaft und war 2020 als Projektleiterin an der Überarbeitung des «Tiptopfs» beteiligt. Die Freude am Kochen hat sie von ihrer italienischen Mutter und deren Eltern geerbt. Gern erinnert sie sich an die Sonntage, an denen das Mittagessen gut und gern drei Stunden dauern konnte, oder an den Zopf, der jede Woche frisch auf den Frühstückstisch kam.

 

Margaux Schärer ist in der Küche gross geworden: Ihr Vater war Wirt und das Restaurant ihr zweites Zuhause. Als Kind hat sie etliche Stunden damit verbracht, die Küchen- und Servicecrew zu beobachten und zu unterstützen. Ihre Neugier, selbst zu kochen, wurde schon früh geweckt. Sie ist überzeugt, dass Essen nicht nur ein Mittel zum Zweck sein, sondern vor allem Freude und Genuss bereiten sollte.

Margaux Schärer
Verantwortliche SGF Tiptopf Universum
Schulverlag plus AG
+41 58 268 15 26
Annic Berset
Fachbereichsverantwortliche WAH-HW
Schulverlag plus AG
+41 58 268 14 14