- Bildung
Ein anderer Bildungsstil
Einen Schulfeiertag, an dem die ganze Schule einen Umzug durch die Stadt macht, haben wohl die wenigsten von uns in der Schulzeit erlebt. Während Emanuelas Schulzeit in Ghana stand Our Day, wie dieser Tag genannt wird, jährlich auf dem Programm und war ein Highlight für alle Kinder. Im Alter von fünf Jahren zog Emanuela von der Schweiz nach Ghana und lebte dort für drei Jahre. Emanuela, Lernende Polygrafin bei Stämpfli Kommunikation, erzählt, wie der Wechsel in eine neue Kultur und zurück für sie war.
27.02.2023
Zwei unterschiedliche Kulturen
Faktencheck Schulsystem
Wie in der Schweiz gibt es auch in Ghana eine Schulpflicht. Trotzdem handelt es sich bei einem grossen Teil der Schulen um Privatschulen, und die Eltern müssen für das Schulgeld selbst aufkommen. Üblicherweise wohnt etwa die Hälfte der Kinder im Internat der Schule und die andere Hälfte zu Hause. Die ghanaischen Kinder besuchen sechs Jahre lang die Primary School (vergleichbar mit unserer Primarschule), danach wechseln sie für drei Jahre in die Junior Secondary School (vergleichbar mit unserer Oberstufenschule). Im Anschluss geht es für drei Jahre auf die Senior Secondary School (vergleichbar mit unseren Gymnasien/Kantonsschulen). Danach können sie ein Studium absolvieren. Berufslehren, wie wir sie kennen, gibt es in Ghana nicht. Personen, die nicht studieren, übernehmen häufig das Familiengeschäft.
Uniform und Sprachbarriere
Weil ich in der Schweiz geboren bin, war es meiner Mutter wichtig, dass ich auch meine ghanaischen Wurzeln und meine Familie in Ghana kennenlerne. Die erste Begegnung mit meinen dortigen Verwandten war eine sprachliche Herausforderung, denn in der Schweiz hatte ich nur Berndeutsch gesprochen. Das verstand dort natürlich niemand. Schneller als gedacht lernte ich Englisch und Ewe. Weil ich damals erst fünf Jahre alt war, spielten die Veränderungen in meinem Alltag für mich keine grosse Rolle. Ich gewöhnte mich automatisch um.
In der Schule musste ich eine Uniform tragen. Das gehört in Ghana zum Schulalltag. Der Hauptzweck der Uniform ist es, die Schule zu repräsentieren. Aus dem von der Schule zur Verfügung gestellten Stoff lässt man sich eine passende Uniform schneidern. Neben der Kleidung ist auch die Frisur vorgeschrieben: In den meisten Schulen müssen die Kinder die Haare kurz rasiert tragen. In Ghana haben Hierarchien einen hohen Stellenwert, und die Menschen leben nach dem Motto «Respect your elders». Es wird viel Wert auf die Lebenserfahrung gelegt. Das gilt nicht nur in den Familien, sondern auch in der Schule. Das Wort von älteren Schülerinnen und Schülern und älteren Menschen generell zählt viel für die jüngeren.
Das alltägliche Leben
Alle Kinder der Schule versammelten sich jeden Morgen auf dem Schulhof. Dabei sangen wir gemeinsam die Schulhymne, christliche Lieder oder auch die Nationalhymne. Die Schulband begleitete uns dabei. Nach dem Singen marschierten wir als Klasse in unser Schulzimmer. Sobald die Lehrperson ins Klassenzimmer trat, standen wir alle auf und begrüssten sie. Ich erinnere mich noch genau an die Begrüssung des Französischlehrers. Wir alle sagten gemeinsam: «Bonjour, Monsieur», und wir mussten stehen bleiben, während der Lehrer uns mit «Bonjour, les enfants. Vous pouvez vous asseoir» begrüsste. In der Schule wurde hauptsächlich Englisch gesprochen, Ewe und Französisch hatten wir als Unterrichtsfächer.
In den Pausen spielten wir regelmässig Spiele. Ein sehr bekanntes Pausenspiel in Ghana ist Ampe. Dabei springt man im gleichen Rhythmus und hält jeweils einen Fuss nach vorne. Diejenige Person, die gewinnt, spielt gegen die nächste weiter. Zu Hause war ich grösstenteils mit Lernen, Lesen oder Malen beschäftigt. Entweder gab es Hausaufgaben zu erledigen, was ich gerne mit meiner Grossmutter tat, oder ein Tutor (privater Lehrer) brachte uns bereits Inhalte für Fortgeschrittene bei, damit wir bestens aufs nächste Schuljahr vorbereitet waren.
Summer School
In Ghana hatten wir keine über das Jahr verteilten Ferien, sondern drei Monate Ferien im Sommer. In dieser Zeit war die Schule jedoch nicht geschlossen. Bestimmte Lehrpersonen blieben vor Ort, und man konnte die Summer School besuchen. Ich konnte entscheiden, was ich fürs nächste Schuljahr lernen wollte oder in welchem Fach ich noch Hilfe benötigte. Zudem war die Summer School auch dafür da, dass während der drei Monate nicht alles vergessen ging.
Our Day
Our Day war jedes Jahr ein Highlight, und wir Kinder freuten uns jeweils sehr darauf. An diesem speziellen Tag durften alle ohne Uniform zur Schule gehen – wir konnten das anziehen, was uns gefiel. Alle nahmen ihr eigenes Essen von zu Hause mit, wobei Süssigkeiten natürlich nicht fehlen durften. Gemeinsam bereiteten wir alles für den späteren Umzug vor, denn am Nachmittag fuhren wir mit der ganzen Schule im Bus durch die Stadt. Die Schulband spielte Musik, und wir anderen Kinder sangen und repräsentierten so unsere Schule. So aufregend der Tag war, so schnell war er jeweils auch wieder vorbei, und am nächsten Tag ging für uns der Alltag in Uniform weiter.
Zurück in der Schweiz
Nach meiner Rückkehr in die Schweiz fehlten mir die klaren Strukturen, die ich aus Ghana gewohnt war. Dort spielt beispielsweise das Christentum eine sehr grosse Rolle im Alltag der Menschen,1 was ich auch in meiner Familie erlebt und gelernt habe. Als jedoch mein neues Leben in der Schweiz begann, habe ich schnell erkannt, dass Religion und Staat für die Menschen hier klar getrennt sind. In der Schweiz kann jede und jeder den eigenen Glauben praktizieren, aber dieser beeinfluss nicht das öffentliche Leben. Wegen der starken Veränderung in meinem jungen Leben verlor ich den Boden unter den Füssen. Ich sah mich plötzlich gezwungen, eigenständig zu denken, ohne mich von einem Glauben beeinflussen zu lassen. Diese Selbstdisziplin zu erlernen und wieder ein Fundament aufzubauen, war schwierig und ein langer Weg.
Ich bin dankbar, dass ich verschiedene Menschen mit unterschiedlichen Hintergründen und Glaubensrichtungen kennenlernen durfte. Was mir meine Erfahrungen gezeigt haben, ist, dass es da draussen eine riesige Welt gibt und nicht nur die enge Sichtweise meiner eigenen, wie ich sie in Ghana kannte. Ich habe die guten Dinge aus meiner Zeit in Ghana mit dem verbunden, was ich in der Schweiz gelernt habe.