- Unsere Sicht
«Der Weg zu den Besten»
Die Stämpfli Gruppe – als Unternehmen vor 425 Jahren gegründet und seit 225 Jahren in der Hand der Familie Stämpfli – hat einige Veränderungen miterlebt. Der Wandel in der Kommunikations-, Verlags-, Druck- und Medienbranche ist immer noch und immer wieder gewaltig. Den Begriff «Disruption», der auch als «Unterbruch» oder «Zerstörung» definiert wird, versteht die Stämpfli Gruppe als grossen Strukturwandel in einer immensen Geschwindigkeit. Im Gespräch mit der Redaktionsleitung der «Marginalie» erzählen Dorothee Schneider (DSc), seit neun Jahren Geschäftsführerin des Stämpfli Verlags, und Daniel Sinn (DSi), seit zehn Jahren Geschäftsführer von Stämpfli Kommunikation, wie die beiden Unternehmen der Stämpfli Gruppe mit dem Wandel und den entsprechenden Herausforderungen umgehen.
01.05.2024
Fokus statt Grösse
Stämpfli feiert das 225-Jahr-Jubiläum. Was bedeutet das für euch als Verantwortliche dieses Unternehmens?
DSc: Stämpfli ist ein traditionsreiches Unternehmen – älter als die ETH! Daran denke ich manchmal, wenn ich mit Professorinnen und Professoren zu tun habe. Und ich finde, es ist auch spürbar im Unternehmen. Bei all den Krisen, in denen wir stecken, etwa der Papier- und Energiekrise oder dem Medienwandel, haben wir als Familienunternehmen einen etwas längeren Atem. Schliesslich haben wir schon zwei Weltkriege überstanden.
DSi: Das Jubiläum bezieht sich ja «nur» darauf, dass das Unternehmen 225 Jahre in der Hand der Familie Stämpfli ist; das Unternehmen selbst wurde bereits vor 425 Jahren gegründet. Mir wird das jeweils wieder bewusst, wenn wir manchmal aufgrund von herausfordernden Situationen das Gefühl haben, so schlimm wie heute sei es noch nie gewesen. Aber das stimmt nicht, weder im Sinn von politischen und gesellschaftlichen Krisen noch in Bezug auf all die Veränderungen in der Kommunikations- und Medienbranche. Es hat bestimmt alles an Geschwindigkeit aufgenommen, aber grundlegende Veränderungen hat es immer gegeben.
Ist die Kommunikations- und Medienbranche stärker vom momentanen Wandel betroffen als andere?
DSi: Natürlich gibt es Branchen, die weniger von der Disruption betroffen sind. Aber in den meisten anderen Branchen sind vergleichbarere Veränderungen im Gang. Für uns sind die neuen Technologien die Treiber des Wandels. Wir müssen ihnen gegenüber maximal offen sein, gleichzeitig aber auch maximal selektiv. Nur so finden wir heraus, was im Moment wirklich relevant ist oder werden könnte. Man sollte aber nie eine neue Technologie ignorieren oder als Hype abtun, sondern mit Neugier offen sein.
DSc: Ich sehe es ähnlich. Es gibt wohl kaum eine Branche, die momentan nicht betroffen ist. Das hängt meiner Meinung nach aber weniger mit der Technologie zusammen. Viel gravierender ist, was gerade gesellschaftlich passiert, wie wir Inhalte rezipieren und was wir daraus machen. Wir haben das richtige Lesen verlernt – also das Verstehen, Interpretieren und Weiterdenken von Texten – und können uns deshalb kaum mehr eine eigene Meinung bilden. Zudem lassen wir uns vermehrt von Bildern und Videos leiten. Das alles finde ich dramatisch.
«Wichtig sind die Innovationskraft und die Fähigkeit, sich laufend zu verändern und auch die Leistungen stets gewinnbringend umzusetzen, damit weiterhin Investitionen möglich sind.»
Und wie geht ihr im Verlag mit dem gesellschaftlichen Wandel um?
DSc: Er ist eine Chance: Wir können mit unserer Marke als Qualitätsgarant fungieren. Es muss uns gelingen, in der Überfülle von digitalen Informationen solche zu bieten, die verbrieft sind. Früher waren Verlage diejenigen, die wussten, wie man Inhalte druckt, dann diejenigen, die wussten, wie die Bücher zu den Menschen kommen, und jetzt sind sie diejenigen, die wissen, welche Inhalte relevant sind. Es wird immer wichtiger, dass wir den Nutzenden helfen, die richtigen Informationen schnell zu finden, denn der zeitliche Aufwand bei der Suche ist ihr grösster Pain Point.
Zurück zur Technologie. Stämpfli bietet alles aus einer Hand. Gilt das auch für die technologischen Dinge?
DSc: Der Stämpfli Verlag hat viele Sachen selbst entwickelt, zum Teil in Kooperation mit Stämpfli Kommunikation. Wir kaufen auch Know-how von Dienstleistern ein, die Arbeit wäre sonst nicht zu bewältigen. Die Partnerschaften mit anderen Firmen braucht man, um sich weiterentwickeln zu können.
DSi: Dass wir alle Kanäle – Print und digital – beherrschen müssen, versteht sich von selbst. Die Kundschaft wünscht sich zunehmend einen Anbieter, der alle Kommunikationskanäle medienübergreifend versteht und im Griff hat. Bei Partnerschaften mit externen Anbietern haben wir einen Wandel vollzogen: Vor einiger Zeit hatten wir den Reflex, möglichst alle Leistungen inhouse anzubieten. Heute hinterfragen wir stets, ob es sinnvoll ist, eine Leistung selbst aufzubauen, oder ob wir je nach Kundenanforderung nicht besser spezialisierte Netzwerkpartner involvieren. Dank ihnen können wir schneller eine passende Kommunikationslösung vorschlagen und umsetzen. Bei der Wahl unserer Partner evaluieren wir renommierte Anbieter genauso wie Start-ups, die teilweise sehr spannende Ideen einbringen.
Hat dieses Umdenken schon zu Veränderungen geführt?
DSi: Ja, wir haben uns dazu entschieden, nicht mehr selbst eine PIM-Software zu entwickeln. Was vor 20 Jahren mangels Alternativen zielführend gewesen ist, ist heute ein internationales Geschäft, in dem die Konkurrenz riesig ist. Ähnlich war es bei den Leistungen im Abomarketing, die bei uns aufgrund der Veränderungen auf Kundenseite an Bedeutung verloren haben. Die Kunden wollen ihre Daten bei sich haben und betreiben die verfügbaren Software-Tools selbst. Auch diesen Bereich haben wir deshalb letztes Jahr abgestossen. Ganz allgemein befinden wir uns in einem Prozess, in dem wir stärker fokussieren – ganz nach dem Motto «Der Weg zu den Besten». Damit ist gemeint, dass wir bei den Leistungen, die wir anbieten, zu den Besten gehören wollen. Aber um das zu erreichen, können wir nicht auf jeder Hochzeit tanzen.
DSc: Bei uns im Verlag ist Verzicht ähnlich positiv besetzt. Man muss und sollte nicht alles tun. Wir haben vor Kurzem einen intensiven Strategieprozess abgeschlossen, der zwei Jahre gedauert hatte. Dadurch haben wir Klarheit gewonnen, was wir künftig nicht mehr tun wollen. Das schafft freie Energie für die Bereiche, in denen wir erfolgreich sein wollen und können.
Das Leistungsangebot wird aber nicht nur verkleinert, sondern auch ausgebaut, etwa mit der Individualisierung im Printbereich. Können wir da zu den Besten gehören?
DSi: Die Individualisierung in der Kommunikation ist eine spannende und sehr dynamische Entwicklung. Der Trend ist da, und wir spüren ihn deutlich, mit zunehmender Relevanz für unser Geschäft. Hunderttausende Exemplare gleicher Art zu drucken und an alle zu schicken, ist bei diversen Printprodukten vorbei. Das heisst aber nicht, dass Print tot ist. Vielmehr müssen die Print- und die Onlinekanäle gut aufeinander abgestimmt sein. Die Botschaften werden zunehmend zielgerichtet und zielgruppenrelevant – eben personalisiert – verteilt; so erreichen die Absender ihre Empfänger trotz der riesigen Flut an Informationen. Zudem wird der Erfolg der Kommunikationsmassnahmen messbar. Die Individualisierung steht noch ganz am Anfang, und wir sind aus strategischen Überlegungen ganz vorne mit dabei.
DSc: Im Verlag sind wir in der Lage, unsere Daten so zu strukturieren und in Form zu bringen, dass sich die Kundinnen und Kunden die gewünschten Informationen selbst zusammenstellen können. Dabei ist sowohl eine Druckausleitung eine Option als auch digitale Verwertungsformen. Momentan ist diese Leistung allerdings noch nicht sehr gefragt, denn unsere Kundschaft bevorzugt noch die gewohnten Inhaltseinheiten, also das Buch und die Zeitschrift. Aber technologisch wären wir so weit.
Die Zahlungsbereitschaft im Internet nimmt ab. Welche Angebote hat der Verlag für diejenigen, die bereit sind, zu bezahlen?
DSc: Überspitzt formuliert: Wir sagen unseren Kundinnen und Kunden, was sie alles nicht lesen müssen. Für Anwälte und Juristinnen ist Zeit Geld. Wenn sie wissen, dass die Information, die wir ihnen liefern, so relevant ist, dass sie sich alles andere sparen können, dann ist ihnen das Geld wert. Auch die Convenience – etwa schnelles Auffinden von Informationen und deren einfache Integration in eine Streitschrift – hat einen grossen Stellenwert.
DSi: In der Kommunikation sehen wir das im Zusammenhang mit unserem Angebot rund um das Webmagazin. Es ist die Online-Entsprechung zu einem gedruckten Magazin. Ein spannendes Produkt, das aber mit einer kostenpflichtigen gedruckten Ausgabe konkurrenziert, wenn es gratis konsumiert werden könnte. Beide Kanäle müssen zudem den entsprechenden Nutzen bieten.
DSc: Der Verlag führt ja auch Zeitschriften, und da kommt immer wieder das Argument: nur digital, dann sparen wir uns das Porto. Papier ist aber nur ein Kostenfaktor unter vielen, schliesslich passiert vor dem Druck ganz viel anderes. Zudem sollte man zwischen der Push- und der Pull-Funktion unterscheiden: Wenn man eine gedruckte Zeitschrift in den Briefkasten bringt, dann ist sie bei den Leserinnen und Lesern. Bei einem rein digitalen Angebot kann man nur hoffen, dass sie die Website besuchen. Passiert das nicht, verliert man den Kontakt. Ein gewichtiges Argument gegenüber Herausgeberinnen und Herausgebern, die sich über Einsparpotenziale Gedanken machen.
DSi: Da bin ich ganz deiner Meinung. Es ist schade, wenn man spannende Inhalte qualitativ hochwertig aufbereitet und gestalterisch etwas mit ihnen macht, dann aber nicht alle verfügbaren Kanäle nutzt, nur weil einer vermeintlich teuer ist.
«Es muss uns gelingen, in der Überfülle von digitalen Informationen solche zu bieten, die verbrieft sind.»
Ein anderer Aspekt bei all den Veränderungsprozessen sind die Mitarbeitenden. Wie können sie erfolgreich mit einbezogen werden?
DSc: Im Verlag bieten wir interne Schulungen an und veranstalten freiwillige Weiterbildungsanlässe über Mittag. Zudem holen wir externe Leute ins Haus, damit sie ihr Wissen mit uns teilen. Die heutigen Anforderungen empfinde ich als unglaublich hoch: Wie gelingt es einem, am Ball zu bleiben, die richtigen Themen zu verfolgen und sie auch gewinnbringend umzusetzen? Wie arbeiten wir mit immer mehr neuen Tools? Und zunehmend wird von den Mitarbeitenden verlangt, dass sie unternehmerisch oder wie Projektmanager arbeiten. Das verlangt allen sehr viel ab.
DSi: Stämpfli Kommunikation arbeitet diesbezüglich in gewissen Bereichen mit dem Verlag zusammen. Wir pflegen bei Stämpfli eine Unternehmenskultur, die den Einbezug der Mitarbeitenden fördert. Das funktioniert aber nur, weil viele Mitarbeitende sich aus eigener Motivation für neue, zukunftsorientierte Themen interessieren. Gleichzeitig können wir nicht alles machen. Bei all dem ist es wichtig, dass die Mitarbeitenden Weiterbildungen gegenüber offen sind. Es müssen aber nicht alle bei allen digitalen Themen oder beispielsweis der Entwicklung rund um die künstliche Intelligenz in gleichem Ausmass involviert sein. Es kommt auf den Arbeitsbereich und die Bedeutung der Veränderungen an.
Wo, denkt ihr, steht die Stämpfli Gruppe in zehn Jahren?
DSi: Ich gehe davon aus, dass der laufende Prozess der Fokussierung auf bestimmte Leistungen und Stärken die Grundlage für das künftige Geschäft und die Marktpositionierung von Stämpfli ist. So wird der Erfolg auch auf lange Sicht möglich sein. Wichtig sind die Innovationskraft und die Fähigkeit, sich laufend zu verändern und auch die Leistungen stets gewinnbringend umzusetzen, damit weiterhin Investitionen möglich sind.
DSc: Ich glaube, dass dieses Unternehmen, egal wie es heisst oder womit es sich beschäftigt, erfolgreich in der Schweiz tätig sein wird; weil ich es für im Kern unglaublich wandlungsfähig halte. Wir haben einen besonnenen Blick auf Veränderungen, müssen nicht überall an der Spitze der Entwicklungen dabei sein. Aber wir sind fähig, uns dahin zu entwickeln. Zudem glaube ich, dass Regionalität als Gegentrend zur Globalisierung eine Wertigkeit bekommen wird, die wir bedienen können. Die Schweiz steht für Sicherheit, Qualität und Verlässlichkeit. Das sind Werte, die noch wichtiger werden.