Identität und Sinnstiftung

Neben der Zugehörigkeit zu einer Gesellschaft, einer Kultur oder einer Organisation gibt es ein weiteres Element, das zur Identität gehört, nämlich der Sinn der eigenen Existenz. Denn erst, wenn man erkennen und benennen kann, was für einen selbst Sinn ergibt, kann man die eigene Identität bewusst danach ausrichten. Besonders das Arbeitsleben nimmt bei den meisten Menschen über viele Jahre einen grossen Raum ein, weshalb man sich immer wieder die Frage beantworten sollte, welchen Sinn man in der eigenen Arbeit sieht – über die Aspekte der Anstellungsbedingungen, des Beziehungsnetzes und des rein Operativen hinaus.

Zur Stämpfli Gruppe gehört auch ein Verlagsbereich, der Publikationen im Bereich der Rechtswissenschaften und der Rechtspraxis verlegt. In der Etymologie des Begriffs «verlegen» existieren zwei Deutungen: Entweder kommt das heutige «verlegen» von «vorlegen», also von der Vorfinanzierung der gedruckten Werke, oder von «verlegen», also von der Verbreitung der Inhalte, indem diese an unterschiedlichen Orten aufgelegt und verkauft werden. Beide Deutungselemente finden sich in der heutigen Verlegerei, aber mittlerweile sind entscheidende Aufgaben zwischen Finanzierung und Vertrieb dazugekommen. Besonders wichtig ist dabei die Mitgestaltung des «Contents» der Urheberinnen und Urheber mit Blick auf die Zielgruppen und im Wissen um deren Bedürfnisse und Nutzungsinteressen. Oder, wie es der Börsenverein des Deutschen Buchhandels formuliert:

«Verlage bereiten geistigen Schöpfungen einen Markt, sie sind Kulturvermittler und Wirtschaftsunternehmen zugleich und als solche unentbehrlich für die Entwicklung unserer freiheitlich demokratischen Gesellschaft, ihrer Grundwerte und Ideale.»

Zum Artikel «Was Verlage leisten»

Damit ist die Relevanz eines juristischen Fachverlags für die freiheitliche demokratische Gesellschaft besonders klar erkennbar. Grundlage einer Demokratie ist schliesslich die Gewaltenteilung: Gesetze beschliessen, Gesetze umsetzen, Recht sprechen. Die Rechtswissenschaften beschäftigen sich inhaltlich mit der Regelung des Zusammenlebens der Menschen. Und wegen der dauernden gesellschaftlichen und technologischen Entwicklungen braucht es immer wieder neue Normen. Das erfordert eine fortlaufende Kommentierung, Diskussion und Interpretation. Dabei zählen die Rechtswissenschaften zu den hermeneutischen Wissenschaftsdisziplinen, also zu den Textwissenschaften. Es geht um die Auslegung juristischer Texte, zu denen neben den Gesetzestexten und der Rechtsprechung eben auch die Publikationen der Verlage gehören. Wir verstehen uns deshalb nicht nur als wichtigen Bestandteil der Wissenschaftskommunikation, sondern auch als Mitgestalter an der Schnittstelle zwischen Wissenschaft und Praxis. An dieser wählen wir mit allem unternehmerischen Risiko und im Wissen um die Bedürfnisse der Zielgruppen die relevanten Inhalte aus und kuratieren diese. Dadurch leistet der Stämpfli Verlag einen dauerhaften und unverzichtbaren Beitrag für das Funktionieren unserer freiheitlichen demokratischen Gesellschaft. Das Wissen um diese Rolle, die wir in einer gut funktionierenden Demokratie spielen, ist für mich enorm sinnstiftend.

Ein besonders beglückendes Beispiel der verlegerischen Möglichkeiten ist für mich das Buch «Democracy falling apart» von Bundesrichter Thomas Stadelmann . In vielen Ländern sind eine unabhängige Justiz, die Gewaltenteilung und die Rule of Law leider keine Selbstverständlichkeit mehr. So auch in der Türkei. Stadelmann versammelt Beiträge türkischer Juristinnen und Juristen und gibt somit einen vertieften Einblick in die negativen politischen Entwicklungen. Das Buch ist kein Bestseller geworden. Aber noch vor Drucklegung baten uns englische Anwälte um das Manuskript, damit sie die dort enthaltenen Schilderungen zugunsten von fünf angeklagten türkischen Anwältinnen und Anwälten vor Gericht verwenden konnten. Sie gewannen den Prozess – und unser Buch hat Menschenleben gerettet.

Ich kann mich hochgradig mit dem Unternehmenszweck vom Stämpfli Verlag identifizieren. Somit trägt ein Grossteil meiner Lebenszeit, nämlich die Arbeitszeit, sinnstiftend zu meiner Identität bei, und ich darf mich glücklich schätzen, hier einen gewichtigen Bestandteil meiner Identität gefunden zu haben.

Jetzt das Buch «Democracy falling apart» von Bundesrichter Thomas Stadelmann bestellen.