• Editorial

Blick zurück ohne Zorn

«Lasset uns am Alten, so es gut ist, halten, aber auf den alten Grund Neues schaffen jede Stund.»1

Ob wir 1599 als Geburtsstunde unserer Firma bezeichnen oder ob wir mit 1799 und der ersten Generation aus der Familie Stämpfli den Anfang unserer Firmengeschichte festlegen: Es liegen viele Jahrzehnte, viele Ereignisse, viele Geschichten hinter uns.

Nie waren die Zeiten ruhig. 1799 sah Bern als neuen Hauptort der Helvetischen Republik, das Grollen der Französischen Revolution hallte nach. Später erfassten die Veränderungen in Europa nach dem Wiener Kongress auch die Schweiz. Mit der Gründung des Bundesstaates 1848 war noch längst keine Ruhe im Lande eingekehrt. Es folgten Jahre der Industrialisierung, neuer europäischer Konflikte und schliesslich der Erste Weltkrieg. Der Landesstreik im November 1918 war Startschuss für viele politische und soziale Veränderungen im Land. Der Zweite Weltkrieg als Fanal für die Welt berührte bereits unsere Vorgängergeneration: Vater und Onkel leisteten Aktivdienst.

Keine Generation konnte so lange so ungetrübt leben und arbeiten wie die heutige. Sicher, ich erinnere mich an die Kubakrise 1962, den russischen Einmarsch in die Tschechoslowakei 1968. Ich erinnere mich an die Ölkrise 1973. Die Kriege im Balkan mit den grauenvollen Ereignissen Mitte der 1990er-Jahre kann ich nicht vergessen. Mitarbeitende tragen diese Erinnerung mit in unser Unternehmen.

Gesamthaft aber erlebte die Schweiz Jahrzehnte des Aufschwungs. Gleichzeitig hat sich die grafische Industrie gründlich gewandelt. Der Bleisatz ist verschwunden. Der Buchdruck hat ausgedient. Bei meinem Eintritt in die Firma 1984 lautete unser Credo: Stämpfli weiss, wie man Bücher macht. Heute kommunizieren wir Mensch zu Mensch. Der Wandel in Technologie und Arbeitswelt ist herausfordernd. Er zeichnet unsere Branche tief. Zahlreiche Betriebe, bedeutende sogar, grosse und kleine, sind verschwunden.

Der Blick nach vorne: Was kommt? Der Horizont hat sich verdüstert: Migrationsströme, Krieg in der Ukraine, erneut Krieg im Nahen Osten. In einigen Ländern zeigen sich despotische Politiker. Die Klimaveränderungen machen uns Sorge. Was wird die künstliche Intelligenz bewirken?

«Die Zukunft sollst Du nicht voraussehen wollen, sondern möglich machen.»2 Das ist die Aufgabe einer jeden Generation. Unsere Vorgänger, in den ersten drei Generationen Frauen mit enormem Leistungsausweis, haben es uns vorgemacht: Was immer die Herausforderungen sind, es gilt, die Zukunft der Firma so zu gestalten, dass sie überleben kann. Damals wie heute sind es nicht Einzelleistungen, die den Erfolg erzielen. Mein Bruder und ich versuchen deshalb immer noch, mit dankbarem Blick zurück und mit Bewusstsein für das Heute, den Erfolg zu schaffen: Mensch zu Mensch, Mensch mit Mensch.

Rudolf Stämpfli
Verwaltungsratspräsident
Stämpfli Verlag
+41 31 300 62 01