Zweisprachig publizieren – pourquoi pas?

Seit 1987 vergibt die Sophie und Karl Binding Stiftung in Basel alljährlich den Binding Waldpreis an Waldeigentümer und Forstbetriebe, die ihre Wälder vorbildlich bewirtschaften. Zum 25. Jubiläum dieser Auszeichnung beauftragte mich der Stiftungsrat, als Mitglied des Kuratoriums eine Retrospektive über die bisherigen Preisträger und den Binding Waldpreis zu verfassen. Unter dem Titel «Wald und Gesellschaft – Erfolgsgeschichten aus dem Schweizer Wald» entstand ein Sachbuch, das 25 forstliche Musterbetriebe vorstellt. Auf einer ausgedehnten Schweizer Reise beschreibe ich darin die Zusammenarbeit von Waldeigentümern und Forstfachleuten, denen es in beispielhafter Weise gelungen ist, die ökologischen, gesellschaftlichen und ökonomischen Ansprüche der Gesellschaft an den Wald unter einen Hut zu bringen. Zwei Preisträger gehören zur romanisch sprechenden Schweiz, drei zur italienischen und fünf zur französischen Sprachregion. Bei den 15 übrigen spricht man deutsch. Von allem Anfang an stand deshalb fest, dass das Buch in zwei Sprachversionen erscheinen würde: Deutsch und Französisch.

Wenns forstlich drauf ankommt

Weil deutschsprachige Forstkollegen die fachliche Exaktheit des Buchprojekts begutachteten, entstand das ganze Manuskript vorerst auf Deutsch. Das bedingte, dass auch die Befragungen bei den ehemaligen Preisträgern und die minuziösen Recherchen in der einschlägigen Literatur deutsch erfolgten. Oder dass sie bei den welschen und italienischsprachigen Forstbetrieben übersetzt werden mussten. Und siehe da: Wenns forstlich drauf ankommt, spricht man auf der Alpensüdseite französisch und in der Romandie deutsch. Dieser sympathische Sachverhalt hat zwei gute Gründe. In der Schweiz bilden die forstlichen Betriebsleiter eine verhältnismässig kleine Berufsgruppe. Sei es als Revierförster oder als Forstingenieur, alle haben dieselben Ausbildungsstätten besucht, sich den gleichen Berufsjargon angeeignet und sich näher kennengelernt. Noch wichtiger ist aber die Grundeinstellung zum Wald, die die forstlichen Fachleute verbindet. Nachhaltige Bewirtschaftung und optimale Anpassung der Funktionsvielfalt der Wälder an die lokalen Verhältnisse und an die Erwartungen der einheimischen Bevölkerung ergeben Betriebsmuster, die sich unabhängig der Sprachgrenzen hervorheben. Wälder erfüllen eine Vielzahl von Funktionen, die aus unserem Alltag nicht mehr wegzudenken sind: Vom Schutz vor Naturgefahren über die Biodiversität bis zur Holzproduk­tion, sogar Papier ist ursprünglich ein Waldprodukt. Sie sind gleichzeitig Orte der Erholung, Einzugsgebiete für Trinkwasser und vieles mehr. In allen Landesteilen prägen diese wichtigen Aufgaben die einzelnen Forstbetriebe zunehmend und machen aus ihnen spezialisierte Dienstleister.

Lektorat, Korrektorat, Übersetzung

Jeder der besuchten Betriebsleiter überprüfte sein deutsches Betriebs­porträt, bevor es in die Textmühlen des Stämpfli Verlags gelangte. Gleichzeitig konnte nun auch die Übersetzung ins Französische beginnen. Die Grafikerin hatte gewarnt: «Im Durchschnitt nimmt ein französischer Text ein Drittel mehr Platz ein – undenkbar, nachdem das Layout schon besteht!» Diese Aussage wurde zur permanenten Herausforderung. Sie gipfelte in der stetigen Suche nach knappen Formulierungen und in nächtelangen Irrfahrten durch Fachglossare, diesmal unter dem wohlwollenden kritischen Blick der französischsprachigen Kollegen. Denn auch ihnen mussten – Transparenz muss sein! – die entsprechenden Betriebsbeschreibungen vorgelegt werden. Das letzte (schriftliche) Wort hatte, insbesondere in sprachlichen Belangen, die Geschäftsleitung des Herausgebers, die Sophie und Karl Binding Stiftung in Basel. Dieser wochenlange Balanceakt brachte auch Erstaunliches zutage: Dass zum Beispiel selbst die Bibliografie gewissenhaft übersetzt werden muss und dass ein Copy and Paste auch bei den Internet­adressen oder dem Bildnachweis nur böse Überraschungen hinterlässt. Oder dass sich die Sprachversionen von Wikipedia hervorragend eignen, um technische Fachbegriffe zu entwirren, obschon derzeit etwa doppelt so viele deutsche Artikel online sind wie französische – ah, ces romands!

Das Buch wurde am 12. Mai 2011 bei der 25. Vergabe des Binding Waldpreises der Öffentlichkeit vorgestellt. Der französische Titel lautet «Forêt et société – Histoires à succès en forêt suisse». Es enthält Exkursionsvorschläge mit einem Kartenausschnitt von Swisstopo, damit man die aussergewöhnlichen Wälder der 25 Binding Waldpreis-Träger selbst entdecken kann. In der deutschen Version heisst diese Rubrik «Des Försters Lieblingspfad». Und auf Französisch «Le coup de cœur du forestier» – charmant, oder?