Weshalb, Herr Harr, ist die private Unterstützung behinderter Menschen nötig?

Wir leben heute in einer schnell­lebigen, meist oberflächlichen Gesellschaft, in der der Wettbewerbsgedanke immer ausgeprägter wird und die Anforderungen an jeden Einzelnen konstant ansteigen. Behinderte Menschen und ihre Familien sind in ihrem Alltag mit grossen Sorgen und Ängsten konfrontiert und müssen heute immer wieder um ihren Platz in der Gesellschaft kämpfen. Privates Engagement wirkt dieser Entwicklung entgegen und ermöglicht Teilhabe am gesellschaftli­chen Leben. Privates Engagement hilft, dass behinderte Menschen eine Stimme erhalten und ungehindert ihren Platz in der Gesellschaft finden. Der Spardruck wird immer grösser. Wichtige Leistungen werden gekürzt oder ganz gestrichen. Dies stellt die Betroffenen vor immer grössere Herausforderungen.

20.12.2011

Deshalb sind Familien mit behinderten Angehörigen auf rasche und unbürokratische Hilfe angewiesen. Gerade kostspielige Anschaffungen wie ein höhenverstellbares Pflegebett, Ausgaben im Transportbereich oder Investitio­nen in den behindertengerechten Umbau der Wohnung übersteigen das Budget einer Familie bei Weitem. Schwer behinderte Menschen sind ein Leben lang auf Pflege und Betreuung angewiesen. Dank privater Unterstützung können zusätzliche Therapien und Hilfsmittel zur Verfügung gestellt werden, die das Leben erleichtern. Unzählige Institutionen sind dank privater Unterstützung entstanden, die behinderten Menschen Wohn-, Förder- und Arbeitsplätze ermöglichen. Dadurch erhalten sie Anerkennung, Wertschätzung und einen sinnvollen Tagesablauf. So man­ches Freizeit- und Entlastungsangebot würde ohne das Mittragen privater Hilfe nicht existieren.

Engagement bedeutet Fortschritt. Engagement bedeutet, Verantwortung zu übernehmen und Vorbild zu sein, andere zu begeis­tern, sich für seine Sache einzusetzen. Behinderung ist Schicksal, ihre Folgen eben nicht. Mit den Mitteln der öffentlichen Hand alleine wären diese Hilfeleistungen nicht möglich. Mit privatem Engagement können Lücken geschlossen werden, die von der Invalidenversicherung nicht abgedeckt werden. Privates Engagement setzt dort ergänzend ein, wo dies die öffentliche Hand oder Versicherungen nicht im erforderlichen Masse können. Aktivitäten müssen aber in enger Kooperation mit staatlichen Strukturen und Kompetenzen einhergehen. Lücken können sich schnell und unerwartet auftun, ein Hilfswerk muss wachsam sein, diese rasch erkennen und reagieren. Es braucht Sensibilität.

Privates Engagement ermög­licht auch Innovation. Innovative Angebote wie eine Autofahrschule für Menschen im Rollstuhl oder eine nationale Vermietung von Spezialvelos sind Früchte privaten Handelns. Auch können dank privaten Geldern in frühen Projektphasen Signale gesetzt werden, die für weitere Entscheidungsträger «Schuhlöffel» sind. Hilfe ist besonders dann wertvoll, wenn sie schnell und unkompliziert erfolgt. Damit diese private Hilfe über Hilfswerke Wirkung entfalten kann, muss sie unbürokratisch, professionell und mit geringen Verwaltungskosten verbunden sein; und vor allem das geleistet werden, was versprochen wird. Denn private Hilfe ist immer auch Vertrauenssache und bringt im Gegenzug Verantwortung mit sich. Mit Engagement und einer ehrlichen und transparenten Informationspolitik muss sich ein Hilfswerk dieses Vertrauens würdig erweisen. Dann kann das WIR gewinnen.

Man ist sich oft nicht bewusst, wie schnell wir von der einen auf die andere Seite des Lebens geraten können. Behinderung kann jederzeit uns alle treffen. Gemeinsam können wir etwas bewegen. Was hindert uns, es gemeinsam anzupacken?