Wer ist Prof. Rodrigo Rodriguez?

20.09.2012

Warum haben Sie sich jemals für das Jurastudium entschieden?

Ich wollte ursprünglich Informatik studieren. Ein Blick auf den Studienplan (Mathematik, Mathematik, Physik, Mathematik ...) liess mich aber rasch nach Alternativen suchen. Da mich auch die Diplomatenlaufbahn interessierte, fand ich, dass das Jurastudium die beste Vorbereitung dafür sei. Es ergaben sich dann so viele spannende Herausforderungen in der Juristerei, dass ich von einer Generalistentätigkeit wie der Diplomatie wieder absah (auch rasch einmal zu alt dafür wurde).

Wo ist für Sie heute die Heraus­forderung, Recht zu praktizieren, Recht zu lehren oder über Recht zu schreiben?

Einstein soll einmal gesagt haben (wahrscheinlich stimmt es nicht, wie bei den meisten Zitaten): «Man muss die Dinge so einfach erklären, wie nur möglich, aber ja nicht einfacher.» Während in der Politik wohl eher der 2. Teil davon ignoriert wird, wird in der Juristerei auf den Hauptsatz zu wenig Gewicht gelegt. Die ungeheure Menge an neuen Regelungen bei gleichbleibender Studienzeit zwingt uns Dozenten dazu, die Grundlagen zu vermitteln, auf die sich die Studierenden dann stützen können müssen, wenn sie sich selbst um die Details eines Falles kümmern. Diese Grundlagen müssen dann aber auch sitzen, und zwar unter Beachtung des obgenannten «Teilsatzes». Darin liegt bei Vorlesungen und bei den Lehrmitteln die Herausforderung.

In der Rechtspraxis sehe ich es ähnlich, soweit sich der Grundsatz übertragen lässt: Das argumentatorische Gewicht einer Rechtsschrift ist oft umgekehrt proportional zu ihrem Gewicht in Gramm.

Auch das Recht ist dem steten Wandel der Zeit ausgeliefert. Was hat sich seit Ihrem Studium verändert?

Weniger, als es sich in Gemeinplätzen zu sagen gehört, aber ich habe zum Glück ja auch nicht zur Zeit der punischen Kriege studiert. Vielleicht hat sich nicht genug verändert: Das Zivilprozessrecht ist zwar vereinheitlicht worden, leidet an den Universitäten aber immer noch an seiner späten Vereinheitlichung, es hat in den Lehrplänen noch bei Weitem nicht den Platz einnehmen können, den es angesichts seiner praktischen Bedeutung verdient hätte. Viele Lehrpläne sind zudem nie wirklich inhaltlich an «Bologna» angepasst worden. Bei einigen Kursen hat man einfach zwei, drei Kapitel gestrichen, und fertig war die Anpassung an die verkürzte Studiendauer. Weder der Bachelor- noch der Masterstudiengang erfüllen für sich genommen die Ansprüche, die das Konzept an sie stellt. Der neue Masterabschluss braucht aber – eine kluge und nicht allzu «aufwandoptimierte» Wahl der Studierenden vorausgesetzt – den Vergleich mit dem alten «lic.» nicht zu scheuen.

Gibt es ein berufliches Projekt, welches Sie noch nicht in Angriff genommen haben, aber an dem Ihnen viel liegt?

Ich hätte gerne als Anwalt mal einige «Wald und Wiesen»-Mandate betreut, etwa eine Strafverteidigung oder eine Scheidung, Fälle eben, die eine ausgeprägtere menschliche und persönliche Seite aufweisen. Auch wenn mir alle, die es mit solchen Fällen zu tun haben, sagen, dies sei kein Spass. Ich glaube aber nicht, dass es dazu kommt, gerade wenn es um menschliche Schicksale geht, sollte man keine «Amateure» wie mich ans Werk lassen.

Gibt es neben Recht ein weiteres Gebiet, über das Sie gerne schreiben würden?

Das Staatsverfassungsrecht hat mich stets fasziniert, insbesondere die Aspekte des Minderheitenschutzes, der Regionalismen und der Unabhängigkeitsbewegungen etc. Das hat mit meiner Herkunft zu tun, ich bin in Katalonien aufgewachsen, wo diese Themen virulent und wenig sachlich diskutiert werden. Die Tragik des Minderheitenschutzes und der Lösung von Problemen, die mit Nationalismus zu tun haben, liegt meiner Meinung nach darin, dass in diesen Bereichen die komplexesten Probleme auf die einfältigsten Menschen treffen.

Wie schaffen Sie sich einen Ausgleich zum spannenden, aber anstrengenden Berufsalltag?

Ich habe zwei (bald drei) Kinder, mit denen ich zum Glück auch viel Zeit verbringen kann. Nach einem Nachmittag mit ihnen kommt mir der Berufsalltag nur noch halb so anstrengend vor.

Können Sie uns eine interessante Geschichte aus Ihrem Berufsalltag erzählen?

Nun, der Berufsalltag des Juristen ist zwar spannend (wirklich!), aber nicht gerade reich an Schenkelklopfern und atemberaubenden Abenteuern. Und dann kommt noch das Berufsgeheimnis (wenn es denn mal was gäbe ...), da stehen sie an Stehapéros schnell mal alleine rum, wenn es um den Beruf geht. Ich durfte mich als Anwalt mal vor dem TAS (Sportschiedsgericht in Lausanne) mit Streitigkeiten rund um Trainingsverträge von jungen Fussballspielern befassen, damals völlig unbekannte Buben. Heute sehe ich einige davon im Fernsehen Weltmeisterpokale hochhalten und mit Sängerinnen ausgehen. Da kann man sich schon die Frage stellen – hätte ich doch mehr Zeit auf dem Pausenhof und weniger im Schulzimmer verbringen sollen?

Über was können Sie lachen, was stimmt Sie traurig?

Natürlich werde ich alle Nichtfamilienväter damit langweilen, aber zum Glück ist das Lachen meiner Kinder noch ansteckender als deren Viren (aber nur knapp). Und (selbst bei der zehnten Wiederholung) über die Simpsons, wohl eine erste Alterungserscheinung.

Traurig macht mich manchmal der Umgang vieler Menschen mit ihrer Freizeit, die vollständig verplant wird. Wollen wir uns mal mit Bekannten verabreden, werden erst mal die Agenden verglichen, und vielleicht findet sich in zwei Monaten ein Termin (an dem dann bestimmt jemand krank ist oder so). Und da dies alle so machen, ist man gezwungen, entweder mitzuspielen oder zu vereinsamen, denn Spontananfragen sind chancenlos. Und all diese Agendapunkte absolviert man im Ergebnis dann, wenn man «abgemacht» hat, und weniger dann, wenn man Lust dazu hätte.