Wer ist Prof. Nadja Capus?

20.06.2012

Warum haben Sie sich für das Jurastudium entschieden?

Wäre es nach meinen Eltern gegangen, hätte ich zu jener Zeit schon meine Lehre abgeschlossen, einen «richtigen» Beruf gehabt und Geld verdient. Nach Nebenjobs als Regie- und Produktionsassistentin habe ich in Bern Theaterwissenschaft zu studieren begonnen. Nach einiger Zeit habe ich jedoch zunehmend rechtswissenschaftliche Vorlesungen besucht, da es dort um echte Geschichten ging, die das Theater immer nur versuchen konnte, auf die Bühne zu bringen. Das ist das Faszinierende am Recht: Es arbeitet zwar auch mit Fiktionen, fordert aber die Anwendung bestimmter Regeln und erreicht so die Gestaltung unseres Zusammen­lebens. Warum es Regeln gibt und was sie bewirken, hat mich aber schon viel früher interessiert: Einer meiner besten Aufsätze im Gymnasium behandelte die Frage, warum zwei Menschen auf einer Insel (Robinson und Freitag) glaubten, sich Regeln geben zu müssen.

Wo ist für Sie heute die Heraus­forderung, Recht zu praktizieren, Recht zu lehren oder über Recht zu schreiben?

Da ich nicht nur Strafrecht lehre, sondern auch Kriminologie, stehe ich vor drei Herausforderungen: Anhand des Strafrechts lernen die Jusstudenten sehr gut, juristisch zu denken; das heisst, dass sie lernen müssen, den Sachverhalt sorgfältig zu analysieren, den Gesetzestext als Vorgabe genau zu verstehen und den Spielraum, der dann noch bei der Subsumtionsarbeit bleibt, kreativ zu nutzen. Lehre ich den Studenten der Rechtswissenschaften die Kriminologie, muss ich sie in die Welt der Sozialwissenschaften führen, lehre ich Kriminologie Studierenden der Wirtschafts-, der Geisteswissenschaften oder der Theologie, muss ich ihnen den (straf)-rechtlichen Kontext erklären.

Auch das Recht ist dem steten Wandel der Zeit ausgeliefert. Was hat sich seit Ihrem Studium verändert?

Für das Strafrecht hat sich seit meiner Studienzeit extrem viel verändert: Internationale Strafgerichte sind zum Beispiel erst gegen Ende meiner Studienzeit ad hoc entstanden und seither unverzichtbarer Bestandteil unserer Welt geworden. Überhaupt hat sich das Souveränitätsdenken, mit welchem der Strafrechtsanspruch eines jeden Staates ja ganz eng verknüpft ist, in den vergangenen Jahren massiv verändert.

Was finden Sie besonders spannend an Ihrem aktuellen Projekt?

Das Spannendste im Moment ist die interdisziplinäre Zusammenarbeit, welche eine stete Annäherungsbereitschaft und Offenheit für die jeweils andere Perspektive bedingt. Inhaltlich geht es darum, herauszufinden, wie das tatsächliche Geschehnis im Laufe eines Strafverfahrens (re)konstruiert wird, wie sich die Gerichte am Ende des Verfahrens ein Bild davon machen. Wir fokussieren dabei auf die Rolle der Protokolle: Was genau passiert beim Protokollieren, ist schriftliches Protokollieren heute noch angemessen oder nicht, und sollte die Art und Weise des Protokollierens je nach Verfahrensphase und Verfahrensart variieren?

Wie schaffen Sie sich einen Ausgleich zum spannenden, aber anstrengenden Berufsalltag?

Im Wald laufen, unregelmässig nur, aber es klappt hin und wieder. Es soll wissenschaftlich nachgewiesen sein, dass allein schon der Aufenthalt im Wald Puls und Blutdruck senkt; dass ich laufe, liegt daran, dass mir Spazieren zu langsam ist.

Gibt es ein berufliches Projekt, welches Sie noch nicht in Angriff genommen haben, aber an dem Ihnen viel liegt?

Sehr, sehr viele ... Ich sage jetzt nicht, welche, sonst macht es ein anderer, der gerade selber keine so guten Ideen hat!

Gibt es neben Recht ein weiteres Gebiet, über das Sie gerne schreiben würden?

Schreiben nicht, aber studieren und lernen würde ich gerne: Ar­chäologie, Maschinenschlosserei, Kunstgeschichte, Medizin. In Bezug auf das Schreiben beneide ich manchmal die Gelehrten früherer Jahrhunderte, die mit deutlich weniger Fussnoten, kurzen Sätzen und ohne seitenlange Literaturnachweise Bücher schreiben konnten. Mir bleiben davon nur die kurzen Sätze.

Über was können Sie lachen, was stimmt Sie traurig?

Studenten, die Fotos von meinen Folien machen, bringen mich zum Lachen; Studenten, die lieber Texte googeln als Bücher anfassen, stimmen mich etwas traurig.