Warum die Baltensweiler-Biografie entstand

Am Anfang war ein Telefonat. Am anderen Ende des Drahtes Urs Baltensweiler, ältester Sohn von Armin Baltensweiler, dem langjährigen Präsidenten der Swissair. Der im Jahre 2009 verstorbene Vater habe, sagte der Sohn, ein umfangreiches Archiv hinterlassen – ob das von öffentlichem Interesse sei? Die Swissair und Baltensweiler sind in der öffentlichen Wahrnehmung praktisch zu Synonymen verwachsen. Berufsbedingt ist diese Liaison, schliesslich hat er seit 1948 über vier Jahrzehnte lang für die Schweizer Airline gearbeitet und deren Aufstieg von einer mittelständischen Firma mit DC-3-Propellermaschinen bis zum weltumspannenden Unternehmen mit einer modernen Airbus-Flotte hautnah miterlebt und wurde so Zeuge vom Werden einer neuen Industrie in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts.

Für mich war die Anfrage für diese Biografie wohl die Frucht einer ähnlichen Liaison, allerdings einer anfänglich sehr zufälligen, und über die Jahre wurde daraus eine fast schicksalhafte Dauerbeschäftigung. Als Historiker und Wirtschaftsjournalist war für mich die Swissair ein Unternehmen wie jedes andere auch, vielleicht eines, in welchem ein Hauch Schweizer Patriotismus zu spüren war. Meine erste persönliche Erinnerung an einen Swissair-Flieger besitzt ein unauslöschbares Datum: den 21. April 1969, als meine Familie nach Spanien auswanderte und ich als Zehnjähriger erstmals ein Flugzeug mit dem Schweizer Kreuz auf der Heckflosse bestieg. Welch ein Erlebnis! Aber sonst war mir die Swissair so fern wie die Wolken, durch die wir Richtung Madrid geflogen sind.

Swissair − warum nicht?

Über zwei Jahrzehnte später lief mir die Swissair buchstäblich wieder über den Weg. Ich war damals ein junger Journalist beim Wirtschaftsmagazin «Bilanz» und weder von Hobbypilotenträumen noch Flugzeugfanatismus verbildet. Ich hatte nur einen Chef, der meinte: «Schreib doch mal eine süffige Swissair-Story.» «Swiss­air», dachte ich mir, «warum nicht? Immerhin spannender als eine Schraubenfabrik.» Nun denn – dieser Artikel erschien, und da ich schon beim Thema war, kamen noch ein paar weitere dazu, zunächst in der «Bilanz» und später beim Nachrichtenmagazin «Facts» oder bei der «Weltwoche». Und im Frühjahr 2001 meldete sich der Bilanz-Verlag, fragte an, ob ich Interesse hätte, ein Buch über die Swiss­air zu schreiben – die Airline war damals in wirtschaftlichen Turbulenzen, von einem Grounding, das sich ohnehin kein Mensch vorstellen konnte, aber noch weit entfernt. Ich dachte wieder: Swissair? Ein Buch? Warum nicht? Daraus wurde «Der Fall der Swissair», erschienen sechs Wochen nach dem Flottenstillstand, und im allgemeinen öffentlichen Schockzustand über die Unfassbarkeit des Groundings wurde das Werk für den Autor wie wohl auch für manchen Leser zum Teil einer persönlichen Trauerarbeit, was das Buch zum Bestseller machte. Aus dem Buch wurde die Grundlage für den Film «Grounding. Die letzten Tage der Swiss-air», und als der Streifen in die Kinos kam, kam wieder ein Buch auf den Markt: «Swissair: Mythos und Grounding». Als das Schweizerische Landesmuseum die Ausstellung «Remember Swissair» konzipierte, durfte ich auch dort mit­tun – die Swissair, so schien es mir, war endgültig Teil meines schreiberischen Lebens geworden.

Es war, als würde die Swissair wieder fliegen

Und dann, Jahre später, kam also diese Anfrage, eine Biografie über Armin Baltensweiler zu schreiben. Diesmal dachte ich nicht: warum nicht? Ich durfte mich umschauen in der verwaisten Studierstube des ehemaligen Präsidenten, sah und spürte 15 Quadratmeter verdichtetes Leben für die Luftfahrt – Tagebücher, persönliche Briefe, stapelweise Papier, und als ich mich darin vertiefte, war das, als würde man die Patina von einem alten Cockpit entfernen, und es war, als würde die alte Swissair wieder fliegen. Dass dieses Buch geschrieben werden musste, war für mich nun keine Frage mehr.

Und dass dieser Entscheid richtig war, zeigte mir nicht zuletzt eine E-Mail, die mich nach der Publikation erreichte. Ein Pensionär schrieb mir, ein Freund von ihm sei der erste Assistent von Armin Baltensweiler während dessen Barackenzeit am Flughafen Zürich gewesen − dieser habe ihm das Buch geschenkt. Er selbst, schrieb er weiter, sei 1952 von Armin Baltensweiler persönlich für dessen Technikabteilung angestellt worden und habe mit dem späteren Präsidenten zehn faszinierend intensive Jahre erlebt. Später habe er sich von einer Schweizer Maschinenbaufirma anstellen lassen, die in Madrid eine Zweigniederlassung betrieb.

Sie ahnen schon: Es ist exakt dasselbe Unternehmen, für welches auch mein Vater in Spa­nien gearbeitet hatte. Und als ich ihn fragte, ob er diesen gekannt habe, meinte er: «Was für ein Zufall! Ich war mit Ihrem Vater sehr befreundet.» Nur schon wegen dieser Episode hat es sich gelohnt, dieses Buch zu schreiben. Ganz abgesehen davon, dass Armin Baltensweilers Wirken im Dienste der Swiss­air lohnend ist, für die Nachwelt aufgeschrieben zu werden. Gerade, weil es die Swissair nicht mehr gibt.