Hermann Hesse und Wilhelm Stämpfli

Der vor 50 Jahren verstorbene Dichter Hermann Hesse gehört zu den grossen Briefschreibern seiner Zeit. Er hat mit Schriftstellern, Malern, Künstlern und Intellektuellen in der ganzen Welt, aber auch mit unbekannten Lesern und Leserinnen einen umfangreichen Briefwechsel geführt. Mehr als 40 000 an ihn gerichtete Schreiben werden im Schweizerischen Literaturarchiv in Bern und im Deutschen Literaturarchiv in Marbach am Neckar aufbewahrt. Da Hesse in der Regel alle empfangenen Briefe persönlich beantwortete, befinden sich in öffentlichen und privaten Archiven auch Tausende von Schreiben Hesses, zuweilen nur mit einem kurzen Gruss, einem Privatdruck oder einem illustrierten Gedicht, häufig aber mit ausführlichen Kommentaren zu seinem Leben und Schaffen, zu Literatur, Kunst oder Politik.

In den vergangenen drei Jahrzehnten sind weit über ein Dutzend Briefwechsel publiziert worden, die Hesse geführt hat: mit Autoren von Thomas Mann über Stefan Zweig, Rudolf Jakob Humm, Hugo und Emmy Ball bis Peter Weiss, mit den Künstlern Hans Sturzenegger, Hermann Hubacher und Alfred Kubin, mit seiner zweiten Frau Ruth Wenger, mit seinem Verleger Peter Suhrkamp, mit dem linksliberalen deutschen Politiker Conrad Haussmann, mit seinem Psychotherapeuten Josef Bernhard Lang. Nun ist auch die bedeutende Kor-respondenz mit dem Verleger ­Wilhelm Stämpfli ausgewertet worden.

Eine Freundschaft per Sie

Fast ein halbes Jahrhundert lang stand Hermann Hesse in engem Kontakt mit Wilhelm Stämpfli, der zusammen mit seinem Bruder ­Samuel das Unternehmen in vierter Generation von 1906 bis 1953 leitete. Die Beziehung zum Juristen, Verleger, Bernburger und Obersten zeigt exemplarisch Hesses Talent, Freundschaften zu pflegen und ein weit gespanntes Netzwerk zu knüpfen. Hesse und Stämpfli blieben immer beim respektvollen Sie, mit dem der Dichter und der ­Geschäftsmann sich gegenseitig Anerkennung zollten. Das hinderte sie aber nicht, in Briefen auch persönlichste Dinge auszusprechen und gegenseitig Anteil zu nehmen an ihren Sorgen und Leiden. Die beiden begegneten einander auf Augenhöhe. Wilhelm Stämpfli verstand Hesses Probleme, weil sich hinter dem tüchtigen Bürger und erfolgreichen Geschäftsmann ein kunstsinniger und sensibler Mensch verbarg. Hesse wiederum war als Künstler und Schriftsteller nicht weltfremd, sondern auch ein «Halb-Fachmann» im Verlagswesen (wie er es in einem Brief ausdrückte) mit einem ausgeprägten Geschäftssinn: Sein Grossvater und sein Vater hatten den Calwer Verlagsverein geleitet, der sich

der Verbreitung religiöser Schriften widmete, er selber hatte eine Lehre als Buchhändler absolviert und die­­sen Beruf einige Jahre ausgeübt.

Hesse, der ja auch malte, bat Wilhelm Stämpfli immer wieder um Zeichen- und Malpapier, Pinsel, Bleistifte, Broschüren, gedruckte Antwortkarten, Werbeprospekte für seine illustrierten «Piktor»- und Gedichtmanuskripte, Kohlepapier, Briefbogen, Couverts usw. Dabei entwickelte er geradezu ein Ritual: Er schilderte jeweils unverblümt seine Bedürfnisse, machte detaillierte Angaben zu den benötigten Materialien und zum Termin und stellte dann den Entscheid dem Empfänger anheim – aber in einer Form, die eine Ablehnung fast unmöglich machte –, indem er etwa schrieb: «Falls es Ihnen eine Belästigung ist, dann bitte werfen Sie meinen Brief weg − ich möchte nicht der sein, der Sie plagt.» Als Gegengabe bot Hesse regelmässig eigene Arbeiten, Gedichtabschriften und Aquarelle an, denn: «Tausch ist immer die hübscheste und angenehmste und anständigste Form von Geschäft», wie er im Januar 1937 meinte.

Hesses Werke bei Stämpfli

Bei Stämpfli erschienen zahlreiche Privatdrucke von Hesse, darunter Erstdrucke wie 1919 die politische Flugschrift «Zarathustras Wiederkehr» oder 1927 «Verse am Krankenbett». Die Entstehung dieses 20-seitigen Gedichtbändchens ist bemerkenswert. Am 20. November 1927 richtete Hesse einen ausführlichen Brief an Stämpfli, zwei Seiten auf der Maschine mit engster Zeilenschaltung geschrieben. Er hatte mehrere Wochen krank gelegen und klagte über das mangelnde Verständnis, das selbst sein Berliner Verleger Samuel Fischer seiner neusten, autobiografischen Lyrik entgegenbringe. Er schlug deshalb einen Privatdruck der Gedichte vor, die während der zurückliegenden Krankheit entstanden waren, und erörterte – ganz der Druck- und Verlagsfachmann – bereits die verschiedenen Varianten, mögliche Auflagenhöhen, Papierwahl, Satz, Subskription und Kosten. Wilhelm Stämpfli fackelte nicht lange: Er antwortete postwendend, sprach dem Dichterfreund sein Mitgefühl aus und anerbot sich, das Gedichtbändchen als Weihnachtsgeschenk für Hesse herauszugeben. Dann ging alles ganz rasch, und am 15. Dezember konnte Hesse die Korrektur zurücksenden, mit der Bemerkung, es sei «höchst erfreulich», dass das Gedichtbändchen noch vor Weihnachten erscheinen könne. Hesses umfangreichster Privatdruck überhaupt erschien 1949 als Festschrift zum 150-jährigen Bestehen der Buchdruckerei Stämpfli. «Aus vielen Jahren» enthielt auf 129 Seiten zwei Erzählungen, 27 Gedichte und die Reproduktionen von drei farbigen Aquarellen und zwei Federzeichnungen von Hermann Hesse. Das Buch ist, wie Hesse richtig voraussah, zum begehrten Sammelobjekt geworden und kos­tet heute antiquarisch 280 Franken …