Gebildete Frauen und der Zweite Weltkrieg

Das neue Buch von Franziska Rogger Kappeler zeigt es deutlich: Es waren weniger die geschlechtsspezifischen Ungleichheiten, mit denen sich Akademikerinnen während des Zweiten Weltkriegs schwertaten, als vielmehr die sozialen Ungerechtigkeiten.

Im Buch «Kinder, Krieg und Karriere» erzählen Frauen, die in den 1930er- und 1940er-Jahren studiert und den Zweiten Weltkrieg erlebt haben, ihre Geschichten. Obwohl sie mit ihrer akademischen Bildung zu den arrivierten Frauen Berns gehörten, stiessen selbst sie noch auf unzählige geschlechtsbedingte Ungleichheiten.Zwar war das universitäre Leben nicht eigentlich diskriminierend. Nur die Juristin Elisabeth Schmid-Frey erzählt, dass sie sich gegen handgreifliche Zudringlichkeit habe wehren müssen. Doch danach Arbeit zu finden oder gar eine Karriere zu machen, gelang äusserst selten. Maria Bindschedler wurde Germanistikprofessorin und Berns erste Dekanin, bezahlte dies aber mit einem Heiratsverzicht. Ellen Beer wurde Kunstgeschichts­professorin. Sie übernahm allerdings daneben die traditionelle Aufgabe der aufopferungsvollen Tochter und resümierte: «Erst mit 55 Jahren konnte ich endlich mich selbst sein.»

Mit den Berufslaufbahnen haperte es. Theologinnen mussten sich erst die Möglichkeit erkämpfen, als Pfarrerinnen arbeiten zu dürfen. Ausgebildete Juristinnen und Lehrerinnen fanden keine adäquate Arbeit, denn es hiess: «Solange wir noch einen Mann bekommen, auch wenn er nicht gut ist, nehmen wir einen Mann.»Eine seltsame Erfahrung machte die Pharmazeutin Irma Tschudi. Als ihr Mann, der spätere Bundesrat, in ein respektables Amt gewählt wurde, erhielt sie als Frau keinen Lohn mehr. Sein Gehalt, hiess es, genüge doch für beide. Wie Rosmarie Felber erlebte, wurden Juristinnen nicht als Juristen, sondern als Sekretärinnen bezahlt. Und das politische Departement erklärte, Frauen nur als Stenotypistinnen und nicht als Sozialattaché anstellen zu wollen.

Die ersten Akademikerinnen waren massgeblich mitbeteiligt, wenn es galt, die Frauenrechtsfragen in der Schweiz voranzutreiben. Dr. jur. Marie Boehlen und ihre vielen Mitstreiterinnen in der Arbeitsgemeinschaft ertrotzten 1959 und 1971 die nationalen Abstimmungen über das Frauenstimm- und -wahlrecht. Sie gehörte zu dem halben Dutzend der Interviewten, denen es gelang, als allererste Politikerinnen gewählt zu werden. Einige Frauen erklärten dezidiert, dass sie die sozialen Ungerechtigkeiten weit mehr gestört hätten als die geschlechtsspezifischen. Das Vorführen «minderer Ware» vor Studenten, wie es im Spital gehandhabt wurde, fand Margrit Roost-Pauli unmenschlich. Die schiere Not in einer materiell ohnehin kargen Zeit machte allgemein schwer zu schaffen. Beredt schildert Maria Wäber-Merz die spezielle Armseligkeit und Bedürftigkeit der Anstaltskinder und Zöglinge. Zudem zollte man auch der Kriegszeit seinen Tribut. Kaum ausgebildet und ohne jede Erfahrung mussten Ärztin und Tierärztin von einem Tag auf den andern ganze medizinische Abteilungen allein führen, da die Männer an der Grenze standen. Die Zahnärztin Cecilia Buob-Buchmann lernte auf dem Dach der BKW scharf schiessen. Andere dienten als Militärsanitäterinnen oder halfen bei der Anbauschlacht. Besonders hart war das Leben der geflüchteten Frauen, die selbst zwar unversehrt blieben, aber durch das Schicksal ihrer Familien Qualen litten.Trotz vielfältigen geschlechtsspezifischen Ungerechtigkeiten erklären die 27 Interviewten einhellig: Nicht die Diskriminierung der Frauen war schlimm, verletzend waren soziale Ungerechtigkeiten, und entsetzlich war der Krieg.


Die Autorin

Franziska Rogger Kappeler

Die Historikerin Dr. Franziska Rogger Kappeler studierte in Berlin und promovierte 1985 in Bern. Sie arbeitete als Journalistin, Kuratorin und leitete 20 Jahre lang das Archiv der Universität Bern. Ihr Buch «Der Doktorhut im Besenschrank» befasste sich 1999/2002 mit den allerersten schweizerischen und russischen Studentinnen. «Inszeniertes Leben», mit Madeleine Herren-Oesch verfasst, erhielt 2013 den Deutschen Biographiepreis. Ihr neustes Buch heisst und fordert: «Gebt den Schweizerinnen ihre Geschichte!»