Fussballerschwänke

Ein kalter Donnerstagabend im November 2008. Die Chefredak­tion der «Basler Zeitung» hat alle Ressortleiter zu einer Besichtigung des Novartis-Campus eingeladen. Gemeinsam erkunden wir die riesigen neuen Bauten des Chemie­giganten am Ufer des Rheins. Anschliessend geht es in ein stadtbekanntes Restaurant in Grossbasel. Die erste Flasche Rotwein steht noch nicht auf dem Tisch, als mich ein Kollege am Ärmel zupft: «Komm, erzähl mal einen Schwank aus deinem Leben mit den Fussballern!»

Millionäre in kurzen Hosen

Schon im ersten Moment kommt mir spontan eine ganze Menge in den Sinn. Seit 1988 habe ich mich – aus journalistischer Sicht – dem Spitzenfussball verschrieben. Zuerst bei der Basler Wochenzeitung «doppelstab», danach zwölf Jahre lang als Fussballchef bei «Blick» und «SonntagsBlick». Seit Juni 2005 bin ich bei der «Basler Zeitung». Ich habe eine Menge Millionäre in kurzen Hosen kommen und gehen sehen. Beim FC Basel. In der Schweizer Nationalmannschaft. Aber auch an vielen Match­es in England, Deutschland oder weiss der Himmel wo in Eu­ropa. Ein EM-Qualifikationsspiel in Aserbaidschan? Kein Problem, Rohr fliegt hin. Ein Testspiel auf der Chlapfbodenalp des FCB? Bin schon unterwegs. Ballern mit Beck­ham, schwafeln mit Matthäus, selbst zu einem «Blitz»-Interview mit dem grossen Diego Maradona («Hola Diego, qué tal?») hat es schon gereicht.

Richtig intensiv verfolge ich den nationalen Spitzenfussball seit Anfang der Neunzigerjahre. Ich habe Murat Yakin bei den E-Junio­ren des FC Concordia erstmals spielen sehen. Wenig später trat dessen kleiner Bruder Hakan in mein Leben. Als der Ballkünstler im Sommer 2003 vom FCB zu Paris St-Germain wechseln sollte, schrieb ich beim «Blick» 37 Tage lang in Folge jeden Tag eine kernige Geschichte, bis sich der Pulverdampf verzogen hatte – Rekord. Ich habe heulende Freundinnen getröstet, die von ihren Kickern betrogen wurden, ich habe unter Fens­tern gelauscht, als der Präsident seinen Trainer fristlos feuerte (der Präsident öffnete das Fenster extra, damit ich zuhören konnte, alles abgesprochen). Es gab Trainer, die nach einem Sieg ihrer Mannschaft die Faust ballten und mir noch auf dem Rasen Prügel androhten (Guy Mathez 1999), es gab Trainer, die mir ein Bier anboten, damit ich positiver über sie berichte (der Name ist mir soeben entfallen). Und es gab Alex Frei.

«Du musst ein Buch schreiben!»

Der stach mir erstmals im Juli 1997 in die Augen. Als U21-Winzling stiess er zu den Profis des FC Basel. Schon vor dem ersten Spiel behauptete Sturmkollege Adrian Knup, Frei werde eines Tages Na­tionalspieler. Was im Frühling 2001 Tatsache wurde. Von diesem Tag an war der Name Frei in meinem Stammhirn eingebrannt – der Torjäger mit den schmalen Schultern war ein Glücksfall für jede Boulevardzeitung auf diesem Planeten. Weil er frisch und – natürlich – frei drauflosredete. Weil er zu seiner Meinung stand. Und immer eine Meinung hatte.

Also war es für mich ein Leichtes, an diesem kalten November­abend 2008 einen Schwank aus meinem Leben zu erzählen. Es wurden mehrere. Mit jedem Glas Rotwein kam ich besser in Fahrt, und als es irgendwann nach Hause ging, sagte der Kollege von der BaZ-Chefredaktion: «Du musst ein Buch schreiben!»

Ein Buch? Warum nicht. Doch schnell war klar: Meine Anekdoten eignen sich für die Buddys am Biertisch, aber nicht fürs Büchergestell. Zu privat. Zu verletzend. Ich würde mir sämtliche Türen zuschlagen, wenn ich publik machte, wer ausserhalb des Stadions schon mal im Abseits gestanden oder gefoult hat. Lieber nicht. Aber eine Biografie? Aufstieg und Fall eines Fussballers. Die ganze Geschichte. Vom ersten Tor bis zum Millionenvertrag. Nicht schlecht.

Schnell wird mir klar: In der Schweiz kommen dafür nur noch zwei aktive Fussballer infrage. Hakan Yakin. Und Alex Frei. Beide kenne ich, wie gesagt, schon eine gefühlte Ewigkeit. Bei Hakan bewunderte ich immer seine Fähigkeiten, das Spiel zu lesen. Und seinen linken Fuss. Der ist bis heute wohl aus Gold. Oder aus Schoggi. Oder aus beidem. Bei Alex fasziniert mich die Persönlichkeit. Dieser unbändige Wille, der Beste zu sein. Diese trockenen Sprüche. Diese Leidenschaft fürs Toreschiessen.

Können wir machen

Ich sondiere die Lage. Spreche mit Experten, darunter Manfred Hiefner, Geschäftsführer des Stämpfli Verlags. Dann der Entscheid: Alex Frei. Den König des Strafraums erlebe ich Woche für Woche vor meiner Haustüre in Basel. Nach einem grossen Streit an der WM 2006 und einer aufregenden Versöhnung im Sommer 2009 hält er mit seinen Erfolgen und Rekorden die Fussballschweiz in Atem. Frei befreit keinen, er fesselt alle. Die einen mögen ihn, die anderen verachten ihn. Und er ist erfolgreich.

Mitte Oktober, wir schreiben mittlerweile das Jahr 2011, mache ich bei einem Kaffee morgens um Viertel vor neun (also mitten in der Nacht für einen Sportjournalisten) den Vorschlag. Alex kratzt sich an der Nase: «Bist nicht der erste Journi, der das will, etwa der sechs­te.» Hä, was? Und warum …? «Keiner hat mir bislang ein Konzept gezeigt.» Jetzt kann ich punkten. Mein Konzept steht. 13 Kapitel über den Stürmer, der die Rückennummer 13 als Glückszahl begreift. Das Werk soll im Hinblick auf das Jahr 2013 erscheinen. Dann endet vermutlich seine grosse Karriere. Also, was ist? «Maile mir das ganze Konzept, dann entscheide ich mich.» Zehn Stunden später, mittlerweile bin ich wegen eines EM-Qualifika­tionsspiels in Wales, rattert mein Computer den genauen Inhalt der Biografie auf Freis Hosentelefon. Fünf Wochen später, am Rande eines Testspiels mit dem FCB, hebt er den Daumen: «Können wir machen.»

Was dem Baselbieter Stürmer vom ersten Moment an gaaaanz wichtig ist: «Du schreibst ein Buch über mich!» Er wollte, dass ich aus der Distanz seine aufregende Kar­riere zusammenfasse. Garniert mit wertvollen Informationen und Geschichten, die er mir liefert.

Ein gutes Jahr später, an der Buchvernissage Ende November 2012, stösst er mich in die Seite: «Muss sagen, das haben wir ganz okay hinbekommen.» Ganz okay heisst bei Alex Frei übersetzt: super.