Der jüdische Friedhof

Neben der wachsenden Zahl von Industriebauten, die ihre Standorte gleich unserer Firma an den nordöstlichen Stadtrand verlegten, gehören auch ältere Institutionen wie die Waldau, die Schrebergärten und der jüdische Friedhof zu unserer Nachbarschaft. Der Friedhof der jüdischen Gemeinde Berns wurde 1871 eingeweiht. Nachdem die Juden in Bern wie an den meisten Orten Europas jahrhundertelang lediglich geduldet – bald hergerufen, bald wieder verfolgt – waren, erlangten sie in jenen Jahren schrittweise die Niederlassungsfreiheit und die gleichberechtigte Stellung als Staatsbürger unseres Landes.

Elsässische Juden hatten in Bern bereits 1848 eine jüdische Gemeinde gegründet und im Bereich der heutigen Genfergasse ­eine Synagoge eröffnet, die 1906 zugunsten des Neubaus an der ­Kapellenstrasse aufgegeben wurde. Grabungen in der Nähe des Bundeshauses haben Fragmente zutage gefördert, die belegen, dass es in unserer Stadt schon im 13. Jh. einen jüdischen Friedhof gegeben hatte. In der Zwischenzeit allerdings fanden Menschen jüdischen Glaubens hier keine letzte Ruhestätte und wurden auswärts – z.B. im elsässischen Hegenheim – begraben.

Der Friedhof an der Papiermühlestrasse hat eine Fläche von 12500 Quadratmetern und zählt gegenwärtig 1862 Grabstätten. Jährlich rechnet man hier mit 13 bis 18 Bestattungen – gegen­über rund 1450 in den drei städtischen Friedhöfen. Jüdische Gräber dürfen niemals geräumt werden, und so finden wir heute innerhalb der gleichen Umzäunung an der Papier­mühlestrasse neben den Grab­steinen der ersten Menschen, die nach 1871 hier beigesetzt wurden, jene der jüngst Verstorbenen. Die Friedhofskommission der jüdischen Gemeinde ist sich bewusst, dass der Platz in Zukunft nicht unbeschränkt reichen wird. Die Schätzungen ­liegen zwischen 20 und 30 Jahren. Die Kommission führt vorsorglicherweise Verhandlungen mit der Burgergemeinde über eine Erweiterung um etwa 2000 Quadratmeter in östlicher Richtung gegen den Schärmewald.

Die Kosten für den Unterhalt des Friedhofes und der beiden Gebäude – der Abdankungshalle und des Abwartshauses – trägt die jüdische Gemeinde Bern vollumfänglich. Lediglich einzelne Wohnsitzgemeinden jüdischer Verstorbener leisten kleine Beiträge an die Bestattungskosten.

Die jüdische Bestattung

Beim Übergang vom Leben in den Tod eines jüdischen Menschen kommt zum Ausdruck, dass sich die Gemeinschaft um ihn kümmert und er und seine Familie nicht einfach sich selbst überlassen bleiben. Bereits wenn sich abzeichnet, dass es mit einem Glied der jüdischen Gemeinde zu Ende geht, wird es auf  dem Weg zum Tod von ehrenamtlichen Beauftragten begleitet. Tritt der Tod ein, sind diese Begleiterinnen und Begleiter wieder zur Stelle, und auch die sechs Mitglieder der ebenfalls unentgeltlich ­arbeitenden Friedhofskommission kommen zum Einsatz. Der Tote wird eine Weile unberührt gelassen, um der Seele Zeit zu lassen, sich vom Körper zu trennen. Die Beerdigung allerdings soll so rasch als möglich stattfinden, innerhalb von 24 Stunden. Das ist nicht immer möglich, vor allem wenn ein Schabbat oder ein Feiertag bevorsteht, an denen Beerdigungen nicht stattfinden dürfen. Innerhalb so kurzer Zeit alle Beteiligten aufzubieten und den würdigen Ablauf der Zeremonie sicherzustellen, ist die anspruchsvolle Aufgabe der Mitglieder der Friedhofskommission, deren Präsident, Martin Mürner, mir in einem Gespräch verdankenswerterweise die Grundlagen für diesen Beitrag vermittelt hat.

Mit dem Körper des oder der Verstorbenen wird sehr behutsam umgegangen; man betrachtet ihn nicht einfach als Kadaver, sondern als Hülle des Menschenlebens – ­eines «Aufenthaltes Gottes» –, das nun weggegangen ist. Nach der Überführung in den Friedhof wird der Körper sorgfältig gewaschen und mit den für alle gleichen Kleidern angezogen: eine Mütze oder Haube, eine Hose, ein Hemd, ein Gürtel und ein Paar Socken. Anschliessend wird der bzw. die Tote samt etwas Erde aus dem Heiligen Land in einen einfachen Holzsarg gelegt. Eine Aufbahrung findet nicht statt. Alle Handlungen sind von vorgezeichneten Gebeten begleitet.

Die Beerdigungszeremonie ist von kurzer Dauer. Zwischen Ge­beten des Kantors der Gemeinde wendet sich der Rabbiner mit einer Ansprache an die Hinterbliebenen; Angehörige oder weitere Personen können kurze Reden halten. Anschliessend wird der Sarg zum Grab begleitet. Sieben Mal hält der Trauerzug dabei zum Gebet an. Am Grab werfen der Rabbiner, der Kantor, die Angehörigen und die Begleiter drei Schaufeln Erde ins Grab. Sind zehn Männer anwesend, sprechen sie das so genannte Kaddisch-Gebet. Erst jetzt wird das Grab vollends mit Erde gefüllt. Beim Verlassen des Friedhofes waschen sich die Teilnehmenden die Hände, um den Reinheitsgeboten Genüge zu tun.

Die Gräber

Nach jüdischer Anschauung sind alle Menschen im Tode gleich, Reichtum und Ansehen sollen keine Rolle spielen. Das äussert sich in der Ausgestaltung der Grabstätten. Zwar findet man hauptsächlich im älteren Teil des Friedhofes einige etwas pompösere Grabmäler – im grossen Ganzen jedoch sind alle Ruhestätten einfach gestaltet. Blumenschmuck ist nicht vorgesehen, wird aber auch nicht strikte abgelehnt. Die Grabsteine enthalten nach den hebräischen Anfangsbuchstaben für «hier ruht» den jüdischen Namen des oder der Verstorbenen, d.h. den eigenen Vornamen und denjenigen des ­Vaters, ­gefolgt vom bürgerlichen Namen. Öfter sieht man Texte in hebräischen Schriftzeichen, eine Menora, den siebenarmigen Leuch­ter, oder den Davidstern. Hände sind das Symbol der so genannten Kohen, der Angehörigen des Priesterstamms, ein Wasserkrug steht für die Familien der Leviten. Auf vielen Steinen liegen eine kleinere oder grössere Anzahl Kieselsteine. Indem Friedhofbesucher einen solchen Stein hinlegen, bringen sie zum Ausdruck: Ich bin hier und gedenke.

Im hintersten Teil des Fried­hofes befindet sich ein Mahnmal für die Opfer des Holocausts. Es ist umgeben von kleinen Gedenktafeln, welche Angehörige für ihre in den Konzentrationslagern umgekommenen Verwandten errichteten. Das Ganze erinnert an die ständige Verfolgung des jüdischen Volkes, die während des Zweiten Weltkrieges ihren traurigen Höhe- und hoffentlich auch ihren Schluss­punkt erreicht hat.