Begegnungen mit Meister Petz

Diesen Juni verbrachte ich in Alaska. Welch ein glücklicher Zufall, dass ausgerechnet ein Manuskript, bei dem der Braunbär die Hauptrolle spielt und Alaska einen grossen Teil der Kulisse abgibt, die Arbeitstage vor meiner Abreise ausgefüllt hat.

Benita Schnidrig, Lektorin Sachbuch

Im Bärenland Alaska

David Bittner hat mich mit seinen Erzählungen in eine Wildnis mitgenommen, die ich selbst zwar kaum kennenlernen würde. Aber vom Schreibtisch aus bin ich ihm in diese unberührte Welt gefolgt, ich bin mit ihm angespannt im Zelt gesessen, geschützt durch einen Elektrozaun, und habe draussen einen Bären atmen gehört, ich habe die eine oder andere Schrecksekunde gehabt, wenn er einem Bären gefährlich nahe gekommen ist, habe Bruno beim Lachsfischen und Lala und Lulu, den beiden Bärenjungen, beim Herumtollen zugeschaut, habe beobachtet, wie sich die Geschwister Luunie und Suunie verloren haben, und inständig gehofft, dass sie sich wiederfinden.

Nein, so nahe würde ich den braunen Riesen Alaskas nicht kommen, schon eher würde etwas Glück dazugehören, um überhaupt einen Bären zu sehen.

Eine meiner ersten Errungenschaften in Alaska war ein Bärenglöcklein. Man hängt es an den Rucksack, wenn man in unwegsamem und unübersichtlichem Gebiet unterwegs ist, damit die Bären einen schon von Weitem hören können und es nicht zu einer Zufallsbegegnung kommt. Denn diese wollte ich auf jeden Fall verhindern, andererseits hoffte ich insgeheim schon, zumindest durch den Feldstecher einen Bären zu sehen.

Im Denali-Nationalpark würde die Chance dafür am grössten sein, aber als ich an jenem frühen Morgen auf den Shuttlebus wartete, glaubte ich nicht wirklich daran. Wir sahen denn auch viele andere Tiere: Weisskopfadler, Elche, Hasen und Füchse, Dall-Schafe und Wölfe. Und immer wieder liess ich den Blick in die Weite schweifen, über die karge Landschaft hinweg zu den Bergen am Horizont. «Bears!», riss mich der Mann auf dem Sitz vor mir aus meinen Gedanken. Tatsächlich, dort am Hang waren drei Bären, eine Bärenmutter mit ihren beiden schon etwas grösseren Jungen. Ich war völlig gebannt. Mein Herz klopfte, nicht etwa, weil ich ein mulmiges Gefühl gehabt hätte. Im Gegenteil, immer wenn ich Wildtieren in der freien Natur begegne, überströmt mich dieses Glücksgefühl. Ich fühle mich als Teil einer Welt, die ihnen gehört, und dass sie sich mir zeigen und sich von mir nicht stören lassen, betrachte ich als Geschenk. Nie habe ich dieses Gefühl in einem Zoo gehabt, es ist nicht die Grösse der Tiere, die mich beeindruckt, es ist ihre Wildheit, ihre Natürlichkeit, ihre stoische Ruhe, die Stärke ausstrahlt und sich in der Wildnis nicht einsperren, höchstens aussperren lässt. Zum Beispiel wenn man wie ich im Bus sass oder wie David Bittner einen Elektrozaun um sein Hab und Gut zog. Eine ganze Weile schauten wir diesen drei Bären zu, wie sie Wurzeln ausrissen und sich dabei langsam entfernten.

Die Schweiz – zukünftiges Bärenland?

Auch bei uns war der Bär einmal heimisch. Dass er trotz Ausrottung nun in den Alpenraum zurückkehrt, kommt mir auch ein bisschen wie ein Geschenk vor. Eines, mit dem wir noch lernen müssen umzugehen. Wie anders ist doch unsere Kulturlandschaft beschaffen als die Weite Alaskas. Überall Dörfer, Weiler, Häuser. Der Müll steht in blossen Säcken an der Strasse, die Komposthaufen stehen offen im Garten. Ein dichtes Wanderwegnetz durchzieht unsere Landschaft bis in die Höhen, und die Schafe weiden frei auf den Alpen. Da scheint ein gefährliches Aufeinandertreffen von Mensch und Bär nahezu unausweichlich. Aber diese Probleme lassen sich relativ leicht lösen. Den Müll kann man in bärensicheren Containern aufbewahren, so wie man sie auch in Alaska überall sieht. Komposthaufen lassen sich mit Elektrodraht einzäunen, ebenso Schafherden. Nein, dass grösste Problem ist nicht, den Menschen vor dem Bären zu schützen, sondern wohl eher umgekehrt. Zwar gilt der Bär heute als geschützt, aber nur, solange er nicht zum Risikobären und damit zu einer Bedrohung für den Menschen wird, so wie JJ3, der schliesslich abgeschossen werden musste. Fast immer steht am Anfang der Ereigniskette, die den Bären zum Risiko werden lässt, der Mensch. Bei JJ3 war es die Anfütterung seiner Mutter Jurka, die so jegliche Scheu vor den Menschen verloren und ihre Jungen dieses Verhalten gelehrt hatte. Doch wie die Schweiz wieder ganz «bär» wurde und dass es für JJ3 trotzdem kein anderes Ende geben konnte, ist eine andere Geschichte, auch diese nachzulesen in «Der Bär – Zwischen Wildnis und Kulturlandschaft».