Alois Riklin, Gründer der «Kleinen politischen Schriften»

Barbara König, Leiterin Marketing und ­Vertrieb

Herr Riklin, Sie sind emeritierter Professor für Politikwissenschaft an der Universität St. Gallen. Können Sie kurz erläutern, was Politikwissenschaft beinhaltet und welchen Stellenwert sie in unserer Gesellschaft hat?

Es gibt zwei Richtun­gen der Politikwissenschaft, eine geisteswissenschaftlich und eine sozialwissenschaftlich orientierte. Die erste erforscht die Politik in ihren Be­zügen zu Philosophie, Geschichte, Recht, Wirtschaft und Kunst. Ihr Urvater ist Aristoteles. Sie ist eine transdisziplinäre Inte­grations­wissenschaft. Die zweite Richtung geht von theoriegeleiteten Hypothesen aus, die sie mit­hilfe empirischer Forschungstechniken prüft. Ihr methodisches Vorbild sind die Naturwissenschaften.

Beide Richtungen sind meiner Meinung nach legitim. Allerdings wird die geisteswissenschaftliche im gegenwärtigen Wissenschafts- und Universitätsbetrieb zunehmend von der sozial­wissenschaftli­chen verdrängt. Persönlich bevorzuge ich die geisteswissen­schaft­liche Ausrichtung. Ich kann nicht verleugnen, dass ich aufgrund meines Erststudiums Jurist war und dass ich, wenn ich frei von Geldsorgen noch­mals ganz von vorn be­ginnen könn­te, in Oxford Philo­sophie und Geschichte studieren würde.

Wichtig für beide Richtungen scheint mir die kritische Distanz zur politischen Praxis. Politische Beratung mit Mass geht in Ordnung; aber sie darf nicht überhand nehmen. Die Nähe zur Macht, zur Staatsmacht und zu Wirtschaftsmächten, ist immer verführerisch, auch in der so genannten Demokra­tie und in der so genannten Marktwirtschaft. Echte Wissenschaft ver­langt intellektuelle Unabhängigkeit und den Rückzug aus der Betriebsamkeit in die Stille. Sonst ver­kommt sie zur Lieferantin von Herr­­schaftswissen. Das zu betonen, scheint mir gerade in der heutigen Zeit dringend, weil die Wissenschaftspolitiker dazu neigen, die Aktualität, den Praxisbezug, den pekuniären Nutzen und die Drittmittel-Befähigung auf Kosten der Grundlagenforschung zu über­treiben.

1996 haben Sie die Buchreihe «Kleine politische Schriften» ins Leben gerufen. Was war der Grund, diese Reihe zu starten?

Zufall und Glück! Zufall, weil ich drei Abhandlungen in der Schub­lade hatte, die für den Abdruck in einer Zeitschrift zu lang und für ein richtiges Buch zu kurz waren; die Idee der «Kleinen politischen Schrif­ten» entsprang der Publi­kationsnot. Glück, weil ich mit Dr. Rudolf Stämpfli seit seiner ­Studienzeit befreundet bin. Diese Freundschaft begann damit, dass ich als Rektor dem damaligen Präsidenten des Inter­national Students Committee Rudolf Stämpfli bei ­einer frühmorgendlichen Besprechung ein grosses Glas mit 40-prozentigem Marc vorsetzte in der Meinung, es sei Weisswein; der Verbindungsstudent aber glaubte, ich wolle seine Trinkfestigkeit testen. Nach dem Studium überraschte mich der junge Verleger mit der Anfrage: «Wann erhalte ich dein neues Buchmanuskript?» An diese mehrfach wiederholte Frage erinnerte ich mich, als ich die drei Schub­ladenhüter loswerden ­wollte. Rudolf Stämpfli nahm die Manu­skripte in den Urlaub auf die Insel Elba mit und kam mit der frohen Botschaft zurück: «Machen wir!» Auch war er einverstanden, eine besonders schön gestaltete Buchreihe zu kreieren statt lumpiger ­Taschenbücher, die irgendwann auf der Müllhalde landen. Ich will nur noch schöne Bücher.

Die Reihe umfasst heute dreizehn Bände zu unterschiedlichen ­Themen resp. Protagonisten. Was verbindet sie?

Die Thematik der Buchreihe ist die politische Kultur im weitesten Sinn mit philosophischen, historischen, rechtlichen, wirtschaftlichen und künstlerischen Bezügen. Verlangt sind Originalbeiträge, ein geschlossener Gedankengang, eine Story, keine Buchbindersynthese; jedoch ist die Verarbeitung früherer Publikationen im Sinne von «Erträge der Forschung» durchaus erwünscht. Die Büchlein sollen ­locker, leserfreundlich, für jeden Interessierten verständlich geschrie­ben sein, ohne abschreckenden Fachjargon, ohne überquellenden wissenschaftlichen Apparat, ohne zerhackende Untergliederungen. Umfangmässig ideal sind ­etwa 200 kleinformatige Druckseiten.

An wen richtet sich die Reihe?

Als Hauptadressaten sollen humanistisch Interessierte angesprochen werden, aber so, dass auch der Fach­spezialist nicht daran vorbeikommt.

Die Reihe wird ja weitergeführt. Können Sie etwas über weitere geplante Werke verraten?

Ich will keine Namen nennen. Ich bin mit vielen potenziellen Autoren im Gespräch. Die Wunschkandidaten sind zwar meistens willig, aber vielbegehrt und haben wenig Zeit. Auf meinem Wunschzettel stehen Titel wie: Republikanismus in der italienischen Renaissance, Republikanismus in der englischen Renaissance, Francesco Vettori, Althusius, Algernon Sidney, Ga­briel Bonnot de Mably, Madison, Kant und Schiller, politische Kunst in Rathäusern, politische Dramen, politisch engagierte Literatur, politisch engagierte Musik, Verkleidun­gen der Macht, Krieg und Frieden in der Kunst, Polens goldene Freiheit, Tyrannei der Mehrheit, politische Miniaturen, politische Ethik, politische Theologie, Mythos Schweiz …