«Afrika als Weltreligion»

Afrikanische Spiritualität gilt in der europäischen Wahrnehmung als Folklore, die teils fasziniert, teils aber auch befremdet. Al Imfeld, einer der besten Afrikakenner und ein engagierter Aufklärer zwischen Schwarzafrika und Europa, legt seinem neuesten Buch «Afrika als Weltreligion» eine provokative These zugrunde: «Ich wage es, Afrikas Religion eine Weltreligion zu nennen; sie darf ruhig und stolz neben Christentum und Islam gesetzt werden.» Al Imfeld stellt die vielfältigen Glaubensformen Afrikas als ein grosses Ganzes dar, zu dem er nicht nur das religiöse Brauchtum Schwarzafrikas zählt, sondern auch die Mischreligionen, wie sie ausserhalb des schwarzen Kontinents vorkommen − Candomblé in Brasilien, Santeria in Kuba, Voodoo in Haiti, die «schwarzen» Pfingstkirchen in den USA oder den afrikanisierten Islam. «Die Zerstreuung Afrikas in alle Welt ist für mich wichtig, ja fundamental. Die Sklaverei hat Afrikas Religion mitgeformt und somit auch verändert», ist Al Imfeld überzeugt. Afrika sei längst nicht mehr auf das physische Kontinentalafrika beschränkt, sondern weltweit zu finden und zu einem Weltphänomen geworden. Deshalb seien afrikanische Reli­gion und Religiosität, Geist und Spiritualität eine Gegebenheit in dieser Welt, die meist übersehen werde. «Gerade diese Zerstreuung ist es, die Afrikas Religion ausmacht.»

Von Widersprüchen und Vorurteilen

Afrika besteht aus unendlich vielen Widersprüchen, und Al Imfeld hat nicht den Anspruch, diese in seinem Buch erklären oder auflösen zu können. Zudem ist er sich bewusst, dass auch er seine eigenen Meinungen und Vorurteile hat. Vielleicht gerade deshalb findet man selten eine solch unvoreingenommene Betrachtungsweise. Der Autor hält sein Buch bewusst provokativ. Dabei werden aber nie Menschen, sondern immer nur überkommene Ansichten über Afrika angegriffen.

Die meisten Arbeiten der wissenschaftlichen Afrikaforschung prägten unser ohnehin falsches Bild. Wer die zahlreichen Werke der letzten 120 Jahre durchgehe, den «ergreift das Schaudern». Die Ethnologie sei entweder im Dienst des Kolonialismus oder der Mis­sion gestanden. «Die Behauptung etwa, dass die Afrikaner keine Religion haben und kein Land besitzen, wurde als Rechtfertigung für die eigenen Machtansprüche instrumentalisiert. Wissenschaftliche Demut hat es im Zusammenhang mit Afrika nie gegeben.» So sieht Al Imfeld sein Buch auch als eine Art Wiedergutmachung.

Literaten statt Ethnologen

Statt Ethnologen, Religionswissenschaftler und Theologen zitiert Al Imfeld vor allem afrikanische und afroamerikanische Literaten. «In ihren Werken kommt viel mehr Afrikanität zum Ausdruck.» Die modernen Schriftsteller Afrikas offenbaren einiges an traditioneller Denkweise und letztlich auch an Religion. Zum Beispiel der Literaturnobelpreisträger Wole Soyinka, den Al Imfeld zitiert. Immer wieder geht es in dessen Gedichten und Essays um zentrale mythische Gestalten. Für Imfelds Verständnis von Afrika sind aber auch Malerei und Musik sowie Tanz und Theater sehr wichtig, holen sie doch vieles aus der Tradition hervor.

Religion – eine Form der Macht

«Ich versuche es immer wieder neu auszusprechen: Religion ist eine Form der Macht, und jede Macht – wenn sie nicht dauernd kontrolliert und korrigiert wird – gerät auf Ab- und Irrwege.»

Religion – und erst recht eine Weltreligion – ist weder nur als positiv noch als nur negativ zu charakterisieren. Religion besitzt viele mysteriöse Aspekte, und in jeder Religion kommt es zu Spaltungen und Sektenbildungen, Überhöhungen und Blindheit, Vergesslichkeit und Einseitigkeit.