400 Jahre Zeitung

Eigentlich erstaunt es, dass nach der Erfindung der Buchdruckerkunst gut 150 Jahre vergingen, ehe die erste eigentliche Zeitung herauskam. Zwar wurde die neue Technologie neben der Herstellung von Büchern schon bald dazu benutzt, einzelne Nachrichten und Flugblätter zu verbreiten. Auch auf dem Gebiet der heutigen Schweiz existierten früh verschiedene Druckereien, und 1597 gab der St. Galler Leonhart Straub während eines Jahres in Rorschach eine Monatsschrift, eine Art Vorläufer der Zeitung, heraus.

1987 hat Martin Welke, ein deutscher Zeitungsforscher, den ersten Herausgeber einer Zeitung im deutschsprachigen Raum ausfindig gemacht. Anhaltspunkt dafür bildet eine Bittschrift an den Strassburger Magistraten aus dem Jahre 1605, die im Strassburger Stadtarchiv gefunden wurde. Darin legt der

Buchbinder Johann Carolus

seiner Obrigkeit dar, dass er schon seit einiger Zeit Nachrichten gesammelt, sie abschreiben (!) lassen und die Abschriften in regelmässigen Zeitabständen an Interessierte verkauft habe. Vor einiger Zeit sei er auf die Idee gekommen, dass er mithilfe einer Druckerei viel schneller zum Ziel gelangen könnte, weshalb er kurzerhand eine Offizin gekauft habe, die Nachrichten dort setzen und drucken lasse und nun wöchentlich verbreite. Carolus bittet den Magistraten nicht etwa nachträglich um die Bewilligung für seinen neuen Geschäftszweig, sondern um das Privileg, während zehn Jahren als Einziger in dieser Art tätig zu sein. Dieses Privileg bekam er nicht, hingegen liess man ihn gewähren.

Ab dem Jahre 1609 bekam das Strassburger Produkt Geschwister. Während des Dreissigjährigen Krieges nahm die Zahl der Zeitungstitel rasant zu, und ab 1650 erschien in Leipzig die erste Tageszeitung. In der Schweiz gilt die «Neue Zürcher Zeitung» als das ­älteste Organ; es erschien 1780 unter dem Namen «Zürcher Zeitung».

Seit Beginn des Zeitungswesens spielte die

Nachrichtenübermittlung

eine entscheidende Rolle. Die Post hatte dazu ein überlegenes Reiter­stafettensystem entwickelt, das die früheren Boten verdrängte und bis ins 19. Jahrhundert hinein funktionierte. Ende des 18. Jahrhunderts erfand ein Franzose die so genannte optische Telegrafie. Er stellte Tragwerke auf hohe Gebäude, auf denen ein drehbarer Mittelbalken samt zwei beweglichen Hilfsbalken befestigt war. Für jeden Buchstaben war eine Kombination von Stellungen der Balken vorgesehen, die bei der nächsten Anlage sichtbar sein mussten. In elf Minuten konnten so 41 Worte übermittelt werden. Die erste Strecke führte von Paris bis Lille über 22 Stationen und mehr als 200 Kilometer. Im Laufe des 19. Jahrhunderts wurde die optische durch die elektrische Telegrafie mit den heute noch bekannten Morsezeichen abgelöst und in unserer Zeit durch die elektronische Datenübertragung, die Ereignis und Übermittlung beinahe zusammenfallen lässt.

Journalismus im Wandel der Zeit

Bestand die Arbeit der Redaktoren anfänglich in der Sammlung, Auslese und wertfreien Wiedergabe der Nachrichten, so begann sich in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts der meinungsbildende Journalismus durchzusetzen. Die Leserschaft erstreckte sich über alle Stände. Anfänglich herrschte die gemeinschaftliche Lektüre vor, wie wir es auch aus der Geschichte der Kalender kennen, aus denen in den Wirtschaften vorgelesen wurde. Dadurch erfuhren auch Leute die Neuigkeiten, die nicht lesen konnten.

Inserate und Vertrieb

In den 1840er-Jahren wurde die Papierherstellung mit Holzschliff erfunden, was zu einer wesentlichen Verbilligung des Zeitungspapiers führte. Die Verstädterungsprozesse in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts und die Erlöse aus dem aufkommenden Inseratengeschäft begünstigten die massenhafte Verbreitung der Zeitung.

Der Post kam von Anfang bis in die Gegenwart auch auf dem Gebiete des Zeitungsvertriebs eine entscheidende Bedeutung zu, obwohl die Zeitungsverleger vor allem in den Städten mit Strassenverkäufern und bis heute mit eigenen Austrägern und mit Kioskverkäufen ihre Produkte selber an ihr Publikum brachten und bringen.

Pressefreiheit

Die Anfänge der Zensur kennt man aus der Kirchengeschichte. Mit der Erfindung des Buchdrucks, die ja auch eine wesentliche Voraussetzung für die Reformation war, erhöhte sich die Gefahr der Verbreitung von Ansichten, die nicht im Sinne der kirchlichen Herrscher waren. Im Zeitalter des Absolutismus behielten sich Fürsten und Obrigkeiten aller Gattung eine mehr oder minder strenge Zensur der Zeitungen vor. Es sei nur daran erinnert, dass selbst der Inhalt unseres «Hinkende Bot» bis 1831 einem «Censor» vorgelegt werden musste.

Ein Ziel der Französischen Revolution war die Pressefreiheit, die sich aber in Deutschland während des ganzen 19. Jahrhunderts nur zeitweise durchsetzte. In dieser Zeit wurde auch der Holzstich erfunden, mit dem sich preiswerte Illustrationen für hohe Auflagen herstellen liessen. Interessanterweise verhalf die neue Technik dazu, was im Text verboten war mitunter bildlich auszudrücken. Die jüngsten und wohl auch brutalsten Knebelungen der Presse kennen wir aus der Nazizeit (1933–1945) und aus der Zeit der DDR. In der Schweiz erfreute man sich eigentlich seit den 1830er-Jahren im Pressewesen grosser Freiheit. Während des  Zweiten Weltkrieges sorgten allerdings die Behörden dafür, dass die Schweizer Zeitungen unseren nördlichen Nachbarn nicht zu sehr verunglimpften. Und wie fast überall entscheiden heute Leserinnen und Leser zusammen mit den Inserenten über Gedeih und Verderb der Zeitungen.